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Dunkle Häfen - Band 1

Dunkle Häfen - Band 1

Titel: Dunkle Häfen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elin Hirvi
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Dinge. Am liebsten aber mochte sie die kleinen Tiere aus Elfenbein, kleine Miniaturen von ihr unbekannten Wesen. Sie fühlten sich sehr glatt an, kühl, bis die Wärme der Hände sie erwärmte. Ramis hatte Martha gefragt, wie groß die Welt sein müsse, um so viele unterschiedliche Kulturen und Tiere zu bergen, die sich nie begegneten. Martha konnte auch keine richtige Antwort fi nden, weil sie nie außerhalb Englands gewesen war und seit langem nicht einmal außerhalb von London. Sie meinte nur, die Welt sei so groß, dass man es sich nicht vorstellen konnte. Ramis wollte viel über die Herkunftsländer dieser seltsamen Gegenstände hören, doch Martha wusste ihr nur zu sagen, was sie selbst gelesen hatte.
    "Hilfst du mir jetzt?"
    In Ramis Stimme schwang Ungeduld mit. Sie war in letzter Zeit sehr reizbar. Martha wusste, das ging jeder Schwangeren so, aber Ramis übertrieb es manchmal. Sie konnte richtig verletzend werden, ein Zug, den Martha bis dahin nie an ihr bemerkt hatte. Seit ihrer Verzweiflungstat war einige Zeit vergangen. Jetzt war es bereits wieder Herbst geworden und die Natur bereitete sich auf ihren Winterschlaf vor.
    Damals hatte Ramis sehr positiv auf die Nachricht reagiert, dass Sir Edward abwesend sei. Plötzlich machte ihre Genesung große Fortschritte. Auch der Arzt zeigte sich sehr überrascht, anscheinend hatte er etwas anderes erwartet. Bald konnte er die Behandlung beenden, was er mit unverhohlener Erleichterung tat. Ramis hatte sich mit ihrem Schicksal abgefunden. Was diese Wende bewirkt hatte, konnte sie selbst nicht sagen. Inzwischen war Sir Edward zwar wieder da, aber er hatte Ramis seitdem nicht mehr angerührt. Als er von ihrer Schwangerschaft erfuhr, hielt er widerwillig Abstand. Er war darüber nicht eben erfreut, aber er warf Ramis nicht so aus dem Haus wie Lettice, was die Leute zu Mutmaßungen anregte.
    Ramis entwickelte mit der Zeit sogar eine Art verzweifelte Liebe zu dem Kind. Ihr Wahnsinn schien vergessen und der Vergangenheit anzugehören. Manchmal allerdings stellte sie immer noch merkwürdige Fragen. Wie an jenem Abend, nachdem sie Staub gewischt hatte. Wenn es dunkel wurde, war ihre Gereiztheit wie weggewischt und sie sehnte sich nach einer Hand, die sie hielt, um ihr die Angst vor der Dunkelheit zu nehmen.
    "Martha, bin ich eine Hure?" , fragte sie. Martha schlug entsetzt die Hände über dem Kopf zusammen.
    "Ramis! Wie kannst du das nur denken? Du hast deinen Körper nicht verkauft."
    Allerdings verunsicherte Martha auch die Abscheu, die Ramis Miene widerspiegelte. Auch Prostituierte waren Menschen, Frauen, die meistens keine andere Wahl hatten, als sich wie eine Ware feilzubieten, um zu überleben. Es war nicht gerecht, sie dafür zu verurteilen, dass so viele Männer derartige Gelüste hatten und sie deshalb aufsuchten. Martha hatte das raue Leben in der Gosse in ihrer Jugend selbst erlebt und wusste um den ewigen Kampf dort, die fade Hoffnung, die die Menschen am Leben hielt, den Dreck überall und schließlich die Wut, die sich gegen die anbahnte, denen das Leben alles gewährte und die nur zu ihnen kamen, um dort das zu tun, was in ihrer eigenen Schicht verpönt war: sich gehen zulassen und ihre aufgestauten Begierden auszuleben. Ramis sah nicht aus, als hätte sie Verständnis für diese Frauen. Vielleicht hatte gerade ihr eigenes Leid sie hart werden lassen. Sonst hatte sie immer Mitgefühl mit den Benachteiligten. Martha wollte Ramis schon fragen, wie man eine Frau kritisieren konnte, die sich verkaufte, weil sie eine Familie ernähren musste, dass es Kinder gab, die sich auch dadurch ernähren mussten, doch sie ließ es lieber, weil sie Ramis Gesicht sah.
    "Gestern hat mich eines der Wäschemädchen so ge nannt."
    Ramis Ausdruck wirkte gequält.
    Sie spielte auf einen Vorfall an, der am vorigen Tag das Haus in Aufruhr versetzt hatte. Für gewöhnlich versuchte Ramis das ständige Geschnatter der Dienstboten zu überhören. Sie gab einfach vor, die neugierigen Augen zu übersehen, wenn sie vorüberkam. Es war besser, nicht zu hören, wie sie sich die Mäuler über die Angelegenheit zerrissen. Einmal allerdings geriet sie doch in Zorn. Sie musste schmutzige Wäsche ins Wäschezimmer bringen, als eines der Waschmädchen einem anderen eine Spur zu laut zu tuschelte:
    "Schau mal, da is' Sir Edwards Bettwärmer. Sieht jetzt wie 'ne fette alte Kröte aus, die kleine Hure, nich' wahr? Hat sich wohl 'n bisschen viel in den feinen Laken gewälzt. Sicher kriegt se noch

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