Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkle Häfen - Band 1

Dunkle Häfen - Band 1

Titel: Dunkle Häfen - Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elin Hirvi
Vom Netzwerk:
Landeskunde unterrichtete. Eines Tages würden sie vielleicht ganz in Vergessenheit geraten. Dieses Haus schien bereits diesem Reich der Vergessenheit anzugehören, mitsamt seiner Geschichte. Oder noch nicht ganz, denn überrascht entdeckte Ramis auf einmal eine einsame Wäscheleine, die nahe dem Haus zwischen zwei Bäumen flatterte.
    "Hier wohnt jemand!" , zerriss Ramis die Stille, die gewiss schon seit langem hier herrschte.
    "Nee, das kann nicht sein ", widersprach Edward.
    Ramis zeigte ihm die Leine.
    "Das ist komisch. Ich habe hier nie jemand en gesehen. Früher hat hier eine alte Frau mit einer Dienerin gelebt, aber die müsste eigentlich längst tot sein."
    "Offensichtlich nicht. Ich denke, wir sollten den Garten schleunigst wieder verlassen. Das alles ist mir nicht ganz geheuer. Außerdem dürfen wir hier nicht sein."
    "Aber Tante! Die Alte kommt sowieso nie aus dem Haus. Sonst hätte ich sie ja mal gesehen. Hier gibt es ein altes Gärtnerhäuschen, da war sie bestimmt schon seit Ewigkeiten nicht mehr. Oder glaubst du, eine alte Frau schnüffelt jeden Abend durch den ganzen Garten?"
    "Trotzdem ", beharrte Ramis. "Es ist nicht rechtens."
    "Nun red ' doch nicht so. Es stört niemand, ob wir hier sind. Und weißt du was Besseres?"
    Darauf wusste Ramis nichts zu erwidern. Schließlich lenkte sie ein. Es war tatsächlich besser, hier zu sein, als auf der Straße bei Nacht herumzuirren. Edward führte Ramis zu einem kleinen Häuschen, noch verfallener als das große Gebäude. Es war aus unbehauenem Stein gebaut und ebenfalls mit Efeu zugewuchert. Die morsche Tür fiel fast aus den Angeln, als sie eintraten. Drinnen roch es modrig und feucht. Die Fenster waren verriegelt, dadurch war es sehr dunkel. Edward kramte zielsicher irgendwo in der Finsternis herum. Er förderte eine Kerze zutage, die er sicher aus dem Bordell gestohlen und hier versteckt hatte, ebenso wie die Streichhölzer. Ramis überlegte, was er hier so oft machte. Gewiss war es kein Ort, an dem man so gerne weilte, ohne Tageslicht. Im Lichtkreis der Kerze wurde ein gewaltiges Durcheinander sichtbar. Verschimmelte Holzbalken lagen quer über dem Boden und verschiedene Geräte rosteten vor sich hin. Die Wand war von einem offenen Ofen rußgeschwärzt. Eine Leiter führte ein Stockwerk höher, obwohl das Haus so niedrig war. Es bestand auch nur aus dem einen Zimmer.
    "Oben ist es besser ", tröstete er Ramis, als könnte er ihr Unbehagen spüren. "Dort ist es trocken."
    Sie kletterten also hinauf. Oben war es wirklich trockener, man mochte dort geschlafen haben. Ein Holzgestell zeugte davon.
    "Kein großer Komfort ", grinste der Junge. "Aber sicher. Und wir sind beides nicht so recht gewohnt, was?"
    Ramis nickte abwesend. Sie fühlte sich ausgelaugt. Die Ereignisse hatten erheblich an ihren Kräften gezehrt. Die Gegenwart verschwamm fließend mit der Vergangenheit und zog sie fort. Wieder einmal stand sie in Marthas Zimmer und blickte hinaus in den grauen Nebel. Die Dunkelheit senkte sich über die Stadt und über ihr Herz. Sie zog lose Haare aus ihrem Zopf und ließ sie im Wind fliegen, damit wenigstens ein Teil von ihr wegkam, hinaus flatterte in die Freiheit. In Wahrheit starrte sie gebannt in die magere Flamme der Kerze. Feuer hatte schon immer eine eigenartige Faszination auf die Menschen ausgeübt, wohl weil sie davon abhängig waren. Manche sahen im Feuer Visionen. Manche brannten darin.
    "Was?" Ramis fuhr auf.
    Edward hatte sie etwas gefragt.
    "War der Mann wirklich tot?" , wiederholte er seine Frage.
    "Welcher... ?"
    Die Erinnerung stellte sich wieder ein.
    Auch, dass sie einmal selbst den gleichen Satz von sich gegeben hatte. Damals hatte sie nicht glauben können, dass Sir Edward wahrhaftig tot sein sollte. So lange hatten alle ihre Gedanken um ihn gekreist und dann sollte er plötzlich tot sein. Es war so unerwartet gekommen. Es konnte keine Worte geben, um die Emotionen zu beschreiben, die in ihr tobten, als er in seinem Arbeitszimmer am Boden lag, sein teures Hemd voller Blut. Sie waren auch viel zu gegensätzlich gewesen, um sie zusammenfassen zu können. Ihre scheußliche Freude, ihr Entsetzen über ihre Tat, es war unvereinbar. Sie war sich sogar immer noch nicht sicher, ob er tatsächlich tot war, da nützte auch aller Abstand nichts, den sie gewonnen hatte, denn es war in Wahrheit keiner. Oft hatte sie den Verdacht, dass er nur darauf wartete, wieder in ihrem Denken aufzutauchen und es in Besitz zu nehmen. Sein Geist flüsterte

Weitere Kostenlose Bücher