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Dunkle Häfen - Band 2

Dunkle Häfen - Band 2

Titel: Dunkle Häfen - Band 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elin Hirvi
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des Hofes sich allzu lange und allzu weit aus seinem unmittelbaren Einflussbereich entfernten. In Versailles hatte er sie dagegen immer unter Kontrolle gehabt, er war über jeden ihrer Schritte und ihre Affären im Bilde gewesen. Ein weiterer Grund für den Herzog, den Gütern fernzubleiben, bestand offenbar in verhassten Erinnerungen. Wie Ramis mit der Zeit feststellte, hatte der früh vaterlos gewordene Guillaume unter einer despotischen Mutter zu leiden gehabt und ihr offenbar noch immer nicht verziehen.
    Bald nahmen die Eheleute ihr gesellschaftliches Leben wieder auf, plötzlich schien jeder Adlige, der etwas auf sich hielt, Soupers und Empfänge geben zu wollen, als hätten sie das viel zu lange entbehren müssen. Stolz konnte man endlich sein eigenes Haus präsentieren, das um so vieles einladender war als das kleine Zimmer in Versailles. Das Leben der Oberschicht blühte mit der Rückkehr des Hofes nach einem langen Schlaf wieder auf. Oft wurden Ramis und Guillaume in die Tuilerien oder den Palais-Royale eingeladen.
    Ramis hätte vielleicht sogar zufrieden sein können, wenn sie nicht so viele Menschen auf der anderen Seite des Ozeans zurückgelassen hätte. Was nützten ihr all dieser Reichtum und all diese Pracht, ohne die, nach denen ihr Herz sich so sehnte? Daran wurde sie sehr nachhaltig erinnert, als sie eines Nachts wieder einen Albtraum hatte.
     
    Wieder einmal schritt sie durch die Gassen Londons, die sich allerdings verändert hatten. Außer ihr befand sich kein Mensch dort. Die Straße dampfte. Pflanzen wucherten aus allen Ritzen hervor und es schien, als wäre seit Jahrzehnten keiner mehr hier gewesen. Obwohl er in Wirklichkeit nie so ausgesehen hatte, kannte sie den Weg nach Maple House ganz genau. Ehrfurchtgebietend wie eh und je stand es zwischen Nebelschwaden, die Zeit hatte es noch monströser werden lassen. Sie trat durch offene Tore und Türen ins Haus. Drinnen war der Verfall noch weiter fortgeschritten als draußen. Der Garten war verwildert, die Mauer und die Fassaden verwittert. Auf einmal hatte alles Ähnlichkeit mit dem Geisterhaus in Bristol, auch wenn es immer noch Maple House war. Die endlosen Korridore, die sie entlang huschte, waren voller Staub. Warum lebte in dieser Stadt keiner mehr? Eigentlich sollte sie es wissen, aber es fiel ihr nicht mehr ein.
    "Martha!"
    Sie erschrak über ihre eigene laute Stimme. Bald stand sie vor dem Raum, der ihr Zimmer gewesen war. Die Tür hing in den Angeln. Dort drinnen war schon lange nichts Lebendiges mehr. Ein Bettgestell und ein Tisch. Auf dem Boden lagen die Puppen, die sie einst so voller Hass vergraben hatte. Die mit dem schwarzen Haar grinste ihr mit ihrem von der Erde aufgeweichtem Gesicht zu. Ramis rannte weg und irrte weiter durchs Haus. Dann fand sie jemanden. Eine verlotterte Gestalt in einem grauen Kittel stand im Speisesaal und starrte aus dem Fenster. Sie drehte sich um, als Ramis näher kam , und die Träumende erschrak über das aschfahle Gesicht. Es war blutleer. Lettice blickte ihr entgegen.
    "Du bist also zurückgekehrt..."
    Ramis wollte sie fragen, warum niemand mehr da war und warum sie so leblos aussah. Aber Lettice konnte Gedanken lesen.
    "Warum? Du bist schuld. Ich habe dich darum gebeten, mir zu helfen, doch du wolltest nicht. Deine schönen Kleider waren dir wichtiger. Nachdem du ihn getötet hast, kam das Unglück über uns. Alle Menschen in der Stadt starben. Du hast uns alle auf dem Gewissen und uns dazu verdammt, auf ewig hier zu wandeln."
    "Aber ich sehe keinen!"
    "Sie sind alle da. Immer. Weißt du nicht, dass wir durch dich weiterleben? Du lässt uns nicht ruhen."
    Um sie herum tauchten Schatten auf, die sich zu geisterhaften Gestalten verdichteten. Dort war die Köchin, die Küchenmädchen, auf der anderen Seite Francis und die Gärtner ... und Martha. Eine furchtbare Gram zerfurchte ihr Gesicht. Neben ihr stand Lady Harriet, so krumm wie Ramis sie zum letzten Mal gesehen hatte. Auch Emily war da, Bonny auf dem Arm. Sie alle starrten Ramis anklagend an.
    "Du hast uns getötet ", flüsterten sie immerfort.
    Ramis bekam eine scheußliche Angst.
    "Lasst mich!" , schrie sie. "Ich wollte euch nichts tun!"
    Voller Entsetzen musste sie mit ansehen, wie Lettice ihren Kittel zur Seite schob und ein klaffendes Loch entblößte, das an Stelle ihres Bauches dort war.
    "Schau, was du getan hast! Du hast mir mein Kind gestohlen!"
    "Nein! Das war ich nicht!"
    Panisch rannte sie los. Sie rannte und rannte, aber das Haus

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