Dunkle Häfen - Band 2
seufzte sie.
Der Marquis blinzelte sie erstaunt an.
"Weshalb das? Zieht Ihr nicht diese ordentlichen, kunstvollen Gärten vor? Das Meer ist rau, kaum berechenbar. Außerdem ist das Salz überall schrecklich."
Traurig blickte sie hinauf in den Himmel.
"Das Meer ist viel mehr. Manchmal denke ich, es ist die einzige Heimat, die ich habe."
"Dann müsst Ihr wirklich aus dem Meer kommen. Vielleicht hätte ich Euch nie entführen dürfen."
Es sollte ein leichter Scherz sein, aber der Marquis spürte Ramis Kummer und so hörte es sich ziemlich ernst an. Sie schien jedoch nicht weiter darüber reden zu wollen.
"Ihr könnt et einmal mit mir zum Meer fahren", schlug er vor, um sie aufzumuntern.
Ramis lächelte wehmütig.
"Das ist lieb von Euch. Ich würde das gerne machen, auch wenn es nicht dasselbe ist, wie weit draußen auf dem Ozean zu sein."
Sie bückte sich und hob eine abgebrochene Blume auf, die im Gras lag.
"In Versailles h ätte das nicht passieren dürfen", meinte sie. "Dort wäre die Blume längst entfernt worden. Schaut, sie ist schon ganz welk."
Sie roch daran und reichte sie dann dem Marquis.
"Hier, ich schenke sie Euch. Sie ist wie ich, ohne ihre Wurzeln zum Tode verurteilt und schon halbvertrocknet. Ihr fehlt das, was man zum Leben braucht. Bei ihr ist es Wasser, bei mir...."
Oft konnte der Marquis nicht mit ihren Äußerungen anfangen, so auch in diesem Augenblick. Nachdenklich schaute er auf die Blume hinab, die er in den Händen hielt. Plötzlich lachte Ramis auf.
"Ihr haltet mich sicher für verrückt und das nicht ohne Grund."
Am Abend sollten sie dem Pretender vorgestellt werden. Ramis wählte dazu ein Kleid der neuen Mode mit Reifrock und eine gepuderte weiße Perücke, die sich doch schon recht stark von den Perücken des Barock unterschied. Immerhin konnte die neue Mode auch bequemer und weniger steif sein. Wenn man nicht gerade in großer Toilette einher spazierte, trug man eine Art Hausmantel, die Contouche, was eine wesentliche Erleichterung darstellte. Da Ramis Grün sehr mochte, die Farbe des Lebens und der Hoffnung, trug sie gerne Kleider in dieser Farbe. So auch heute.
Leben kann ich gebrauchen, überlegte sie beim Gedanken an den heutigen Abend. Er versprach nicht viel anders zu werden als die vielen Abende in Versailles, obwohl das Hofzeremoniell nicht mit dem in Versailles zu vergleichen war. Jede Geste schien dort ihre Ordnung gehabt zu haben und in Voraus geplant worden zu sein. Es waren aber viel mehr Leute als erwartet anwesend, als die Herzogin de Sourges und der Marquis d'Agny eintraten. Ramis suchte den Blick ihres Freundes und stellte fest, dass er ihrem auswich und woanders hinstarrte.
"Was ist denn mit Euch los?" , fragte sie ihn in einem günstigen Moment. "Ihr seht so unglücklich aus."
"Es ist Eure Anwesenheit, Anne ", behauptete der Marquis voller Ernst. "Es ist unerträglich für mich, die ganze Zeit so nahe bei Euch zu sein, ohne Euch je berühren zu dürfen."
"Warum vergesst Ihr diese Gedanken nicht einfach?" Ramis war wie immer unangenehm berührt. "Ich kann nicht glauben, dass etwas Gutes dabei herauskommen könnte."
"Ihr glaubt immer noch, dass Liebe etwas mit Schmerzen zu tun hat, nicht wahr? Nur unerfüllte Liebe schmerzt. Aber wenn Ihr es wollt, so werdet Ihr für mich unantastbarer sein als die heilige Jungfrau."
Damit beendeten sie da s Gespräch. Ramis dachte bei sich: Diese Art birgt immer eine Art Schmerz, oder? Ich würde es auch nicht Liebe nennen.
Der kurze Augenblick, in dem sie James Edward vorgestellt wurde, hinterließ nicht sonderlich viel Eindruck bei ihr. Sie wünschte alles zu vergessen, was mit dem politischen Debakel in England zu tun hatte. Auch der ungekrönte Stuart hielt sich nicht lange mit ihr auf, er warf ihr nur einen Blick zu, wie er wohl jeden ansah und schenkte ihr ein wenig mehr Aufmerksamkeit, als man ihm mitteilte, dass sie wie er Engländerin im Exil war. Das war dann aber auch alles. Es gab hier viele Anhänger James Stuarts, die zu ihm geflohen waren. Nur der Marquis zeigte sich empört über die ungenügende Beachtung, die man der tragischen Geschichte der heutigen Herzogin de Sourges zollte.
Der Abend nahm danach seinen wenig abwechslungsreichen Verlauf. Zwar war alles ein bisschen anders und neu, doch Ramis kannte niemanden außer dem Marquis und sie war nicht eben diejenige, die Kontakt suchte. Irgendwann trennte sie sich auch vom Marquis, weil der einen alten Freund traf und sie nichts zum Gespräch
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