Dunkle Häfen - Band 2
beitragen konnte. So entfernte sie sich und streifte durch den Saal. Irgendwo blieb sie stehen, zog ihr Amulett unter ihrer Kleidung hervor und nestelte daran herum. Rasch drehte sie sich um, als jemand sie ansprach.
"Wartet, Mistress!"
Ein Mann, der in etwa um die Vierzig zu sein schien, kam auf sie zu. Ramis fiel vor allem der bittere Zug um seinen Mund auf.
"Ich möchte mich mit Euch unterhalten."
Er sprach Englisch mit ihr, also musste vorher mitbekommen haben, wie sie vorgestellt worden war.
"Ich habe gehört, dass Ihr Engländerin seid. Ich bin ein Landsmann von Euch. Darf ich mi ch vorstellen: Ich bin Henry St John, ehemals Viscount Bolingbroke."
Er schien eine Reaktion zu erwarten, offensichtlich nahm er an, dass man ihn kannte. Ramis grübelte. Hatte sie den Namen vielleicht doch schon gehört?
"Ihr habt doch sicher schon von mir gehört, oder?"
Ramis nickte unsicher. Dann kam ihr ein Geistesblitz.
"Ach ja, im Krieg! Ihr müsst wissen, ich bin nicht so gut informiert über Politik."
Tatsächlich hatte man unter den Piratenkapitänen den Namen Bolingbroke manchmal erwähnt, wenn es um den Krieg ging. Sie wusste auch, dass er wesentlich an den Friedensverhandlungen mitgewirkt hatte.
"Es mutet geradezu beleidigend an, dass Ihr meinen Namen kaum kennt. Dabei heißt es doch, dass Euer verstorbener Mann sehr an Politik interessiert war. Seid Ihr heute deshalb hier? Um Kontakte zu knüpfen?"
"Ich weiß nicht, wovon Ihr redet. Ich bin nicht im Bilde über englische Thronangelegenheiten. Außerdem bin ich sehr abgeschieden aufgewachsen und habe mich auch später nicht für die politischen Ansichten meines Mannes interessiert."
Ramis erkannte gleich darauf, dass sie einen Fehler gemacht hatte, die Kindheit erwähnt zu haben, denn der Mann fragte:
"Und wo seid Ihr denn aufgewachsen, an welchem weltfremden Plätzchen?"
Stellte er ihr eine Falle? Sie musste annehmen, dass er irgendetwas an ihr verdächtig fand. Ramis suchte nach einem unverfänglichen Ort, der weitab der großen Städte lag. Hoch im Norden vielleicht?
"Äh, nahe der Grenze zu Schottland. Dort ist nicht so viel los."
Das schien er sehr lustig zu finden.
"Wirklich? Ihr habt wohl recht - auch wenn ein alter Freund Euch wohl widersprechen würde; nun ja, vielleicht auch nicht, denn er war so gut wie nie dort oben, wo er herstammt. Ihr kennt ihn eventuell trotzdem. Eigentlich, so muss man sagen, ist er nicht mehr mein Freund. Sagt Euch der Name Fayford etwas?"
Ramis erbleichte unwillkürlich und wurde kurz darauf feuerrot.
"Aha, Ihr kennt ihn also ", schloss St John trocken. "Das ist wieder wenig schmeichelhaft für mich, da Ihr mich nicht erkannt habt. Aber da Ihr errötet, muss ich schließen, dass Ihr zumindest Näheres über ihn wisst."
"Nein!" , widersprach sie etwas zu heftig. "Ich habe nur von ihm gehört, das ist alles. Aber lasst uns dieses Gespräch jetzt beenden, ich habe noch zu tun."
Ramis wandte sich ab. Sie hatte keine Lust, selbst hier von Fayford in der Gestalt eines Freundes - oder Nichtfreundes - belästigt zu werden.
"Ihr weicht aus, Lady. Habt Ihr etwas zu verbergen? Wie lautet Euer Name?"
"Anne de Sourges, wie Ihr sicher schon wisst."
"Ich meinte Euren englischen, Euren Mädchennamen."
Damit saß sie in der Falle. Natürlich konnte sie auch einfach gehen und so tun, als würde sie das wegen seiner Unverschämtheit tun, doch er könnte sie dann noch verdächtiger finden und Nachforschungen anstellen. Und Ramis hatte panische Angst davor, dass jemand ihre Geheimnisse ans Licht bringen könnte.
"Früher hieß ich Anne Stan ley. Und nun lasst mich in Ruhe", erklärte sie möglichst kühl und ruhig.
Doch der Kerl ließ nicht locker.
"Ich glaube nicht, diesen Namen je gehört zu haben, auch nicht von James. Wart Ihr denn eins von seinen Schätzchen?"
"Beleidigt mich nicht! Ihr seid ein unverschämter Lump!"
"Nur mit der Ruhe. Ihr reagiert sehr stark." Er packte sie am Arm, bevor sie gehen konnte. "Da fällt mir etwas ein. Ich glaube, die Fayfords haben Bekannte oder Verwandte, die Stanley heißen. Gehört Ihr denn zu seinem 'Clan'?"
Sie schwieg einen Moment erbost und riss sich los.
"Verschwindet endlich! Es reicht jetzt!" , zischte sie.
"Ich hatte nicht vor, Euch zu beleidigen, Mylady. Verzeiht, wenn ich das getan habe. Sagt mir nur noch, woher Ihr genau kommt!"
"Nein, das werde ich nicht!"
"Muss ich Nachforschungen anstellen und die Leute befragen?"
In der Hoffnung, dass er sich im Norden nicht so
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