Dunkle Sehnsucht des Verlangens
Vampir
richtete sich auf und schwebte aus der Erdmulde.
Julian zuckte gleichgültig die
Schultern. »Erkennst du mich nicht mehr? Wir sind zusammen aufgewachsen. Du
warst einmal ein großartiger Mann, Renaldo. Wie konntest du so tief sinken,
dass du die Welt nun nur noch nach Opfern für deine Mordlust absuchst?«
Der Vampir wiegte den Kopf
schlangengleich hin und her. »Warum bist du gekommen, Savage? Du hast dich doch
niemals um die Belange unseres Volkes gekümmert.« Die Stimme des Vampirs war
nichts als ein hässliches Zischen, das aus seiner Kehle drang.
»Du wurdest in unser Volk
geboren und hast dich entschlossen, auf die Seite des Bösen überzuwechseln.
Ich habe schon immer diejenigen gejagt, die ihre Seelen der Verdammnis
überantworten und andere in Gefahr bringen«, antwortete Julian leise, beinahe
sanft. Seine Stimme klang wunderschön und rein, sodass die Töne die Höhle
erfüllten und den Gestank des Bösen verdrängten. »Es gab einmal eine Zeit,
Benaldo, in der du Seite an Seite mit ihm gekämpft hast. Selbst damals warst du
nicht annähernd so stark wie ich. Wie kommst du auf den Gedanken, mich jetzt
herausfordern zu können?« Oberflächlich betrachtet, schien es eine ganz
harmlose Frage zu sein, doch Julians Stimme entfaltete ihre hypnotischen
Kräfte, vor allem, weil der versteckte Befehl deutlich herauszuhören war.
Darius war Julian in die Höhle
gefolgt, hielt sich jedoch im Hintergrund, um nach weiteren Gefahren Ausschau
zu halten. Aus Erfahrung wusste er, dass die Untoten grundsätzlich unzählige
Fallen aufbauten, um ihre Jäger im Zweifelsfall mit sich in den Tod zu reißen.
Sobald man es mit einem Untoten zu tun hatte, war nichts mehr, wie es schien.
Darius fand Julians sanften
Umgang mit dem Vampir ausgesprochen interessant. Seine eigene Methode war
direkter. Er spürte die Vampire auf und tötete sie in einem kurzen, heftigen
Kampf. Julian dagegen ähnelte ein wenig dem Vampir selbst - voller Anspielungen,
indirekt, täuschend und dämm bemüht, das Selbstvertrauen seines Gegners zu
erschüttern. Julian bemühte sich, ihn von seinem Vorhaben abzulenken, indem er
ihn an bessere Tage erinnerte. Darius schüttelte den Kopf, verhielt sich jedoch
still. Der Gefährte seiner Schwester war ein faszinierender Mann, ein Rebell,
der seinen eigenen Weg ging und dessen sardonischer Sinn für Humor immer dann
zu Tage trat, wenn man ihn am wenigsten erwartete. Julian schien niemanden zu
fürchten, nur wenige zu respektieren und seine eigenen Regeln aufzustellen.
Doch Darius war nicht nur
neugierig geworden, weil er den neuen Gefährten seiner Schwester besser kennen
lernen wollte. Julian hatte etwas Eigenartiges an sich, ein dunkles Geheimnis
tief in seiner Seele, das ihm ständig zu schaffen machte.
Der Vampir ging im Kreis, um
sich näher am Höhleneingang zu positionieren. Doch Julian vereitelte seinen
Plan, indem er dem Ungeheuer einfach folgte, als befänden sie sich in einem
seltsamen Tanz. »Du weißt genau, dass ich dich nicht am Leben lassen kann,
Renaldo. Es wäre unmenschlich von mir.«
»Dir sind doch die Menschen
gleichgültig, Julian«, erwiderte der Vampir. »Du gehorchst niemandem, nicht
einmal dem Prinzen der Karpatianer. Glaubst du denn, dass ich nicht den
Schatten spüre, der sich über deine Seele gelegt hat? Du gehörst zu uns. Ich
habe nicht dich herausgefordert, sondern einen anderen, der in unserem
Heimatland unbekannt ist. Er behält zwei Frauen für sich, die Gefährtinnen für
einen der unseren sein könnten. Das verstößt gegen unsere Gesetze.«
In der Dunkelheit der Kammer
blitzten Julians weiße Zähne auf. »Willst du etwa behaupten, dass du dich nach
den Gesetzen der Karpatianer richtest?« Noch immer klang seine Stimme sanft und
ungerührt, doch die Worte des Vampirs hatten ihn tief getroffen. »Du gehörst zu uns.«
Kaum hatte er die Frage
ausgesprochen, spürte er auch schon, wie die Erde unter ihm bebte. Offenbar
handelte es sich um den nächsten verzweifelten Versuch des Vampirs, sein
armseliges Leben zu retten. Blitzschnell stürzte sich Julian auf den Untoten,
stieß die Hand tief in seine Brust und riss ihm das Herz heraus.
Er bewegte sich mit so großer
Geschwindigkeit, dass selbst Darius einen Augenblick lang glaubte, sich Julians
geschickten Angriff eingebildet zu haben. Der Vampir schwankte und schnappte
nach Luft, während sich seine grotesken Züge noch hässlicher verzogen. Wie in
Zeitlupengeschwindigkeit sank er vor Julian zu Boden.
Der
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