Dunkle Sehnsucht
Hotelangestellten bei Fehlverhalten auf lange Holzpflöcke zu spießen. Jedenfalls nicht, dass ich davon gehört hätte.
Als wir allerdings im Aufzug nach oben standen, wurde mir der Grund für die überbordende Freundlichkeit des Personals schnell klar. Hätte die pelzbemantelte Dame neben mir die Nase noch weiter in die Luft gereckt, hätte sie einen Höhenkoller gekriegt. Und wer trug überhaupt mitten im Sommer einen bodenlangen Pelzmantel? Ihr Begleiter, vermutlich ihr Ehemann, wie ich aus den Ringen der beiden schloss, sah auch aus, als hätte er einen Besenstiel verschluckt. Seine Gattin musterte mit kühlem Blick mein windzerzaustes Haar und meine insgesamt etwas schludrige Aufmachung und drückte dabei eine solche Verachtung aus, dass ich mich gleich wieder fühlte wie zu meiner Zeit als Kleinstadt-Außenseiterin. Hey, dafür, dass ich den ganzen Weg von Chicago nach New Orleans auf dem Motorrad zu-rückgelegt hatte, sah ich noch verdammt gut aus. Keine einzige Mücke zwischen den Zähnen und so.
Mit leichtem Naserümpfen wandte die Dame sich schließ-
lich ab und flüsterte ihrem Mann zu: »Das Publikum hier ist auch nicht mehr das gleiche.« Und das so laut, dass ich nicht mal ein übernatürlich feines Gehör gebraucht hätte, um es mitzubekommen. Ich biss die Zähne zusammen und sagte mir vor, dass es äußerst unreif von mir gewesen wäre, sie zu hypnotisieren und ihr einzureden, ihr Hintern wäre gerade fünf Kleidergrößen breiter geworden.
Im nächsten Augenblick öffneten sich glücklicherweise die Aufzugtüren auf dem Stockwerk, in dem das Paar aus-steigen wollte. Als die beiden hinaustraten, schenkte Bones dem Mann ein mattes Lächeln.
»Jeden Donnerstag, wenn Sie im Club sind, treibt sie es mit dem Klempner. Haben Sie wirklich geglaubt, ihr Lokus hätte diesen Monat vier Reparaturen nötig gehabt?«
Die Frau stieß ein schockiertes Keuchen aus, und der Mann bekam hektische Flecken im Gesicht.
»Du hast mir gesagt, er würde Rohre verlegen, Lucinda!«
Bones schnaubte. »Hat er ja auch getan.«
Als die Türen sich schlössen, begann die Frau gerade ein empörtes, aber unglaubwürdiges Dementi zu stammeln. Ich staunte noch immer mit offenem Mund über das Gehörte.
»Bones!«, japste ich schließlich.
»Geschieht der blöden Kuh recht, nach dem, was sie über dich gedacht hat, und er war nicht besser«, antwortete er ungerührt. »Jetzt haben sie was anderes zu tun, als über fremde Leute die Nase zu rümpfen.«
Einerseits war ich schockiert über Bones' Benehmen, aber mein weniger wohlerzogenes Ich lachte sich schlapp. Gott, das Gesicht, das die Frau gemacht hatte! Ihr stand praktisch
»ertappt« in die eben noch so arrogante Visage geschrieben.
»Ist auch nicht so, als hätte ich gerade einem treusorgen-den Ehegatten das Herz gebrochen«, fuhr Bones fort. »Er vögelt mit seiner Anwältin. Die beiden haben einander verdient.«
»Was mir mal wieder sagt, dass ich zurecht keine tele-pathischen Fähigkeiten haben will«, sagte ich kopfschüttelnd. »Dann muss ich so etwas nicht aus den Köpfen anderer Leute aufschnappen.«
Die Aufzugtüren öffneten sich erneut, diesmal auf unserem Stockwerk. Bones' Hand lag leicht auf meiner Schulter, als wir uns unserem Zimmer näherten. Drinnen war ich wieder sprachlos. Das war kein Hotelzimmer; es war so groß wie ein Haus. Ich ließ den Blick über den herrlichen Par-kettboden, die Perserteppiche und eleganten antiken Einrichtungsgegenstände schweifen. Es gab ein Speisezimmer mitsamt Kronleuchter, einen prunkvollen Salon mit vergol-detem Kamin, deckenhohe Glastüren, durch die man auf den Mississippi blicken konnte ... Und das Schlafzimmer hatte ich mir noch gar nicht angesehen. Als wir das letzte Mal in New Orleans gewesen waren, hatten wir in Bones' Haus im French Quarter gewohnt, aber uns war klar, dass man uns dort zuerst vermuten würde, also schien es uns sicherer zu sein, in einem Hotel abzusteigen.
Auch wenn es um einiges teurer war, wie der ganze Luxus hier vermuten ließ.
»Haben wir im Lotto gewonnen, und du hast vergessen, es mir zu sagen?«
Bones schenkte mir ein Grinsen und warf seinen Mantel über einen Stuhl. »Weißt du, was der Vorteil daran ist, mit einem Vampir befreundet zu sein, der früher mal Zukunfts-visionen hatte? Ich sage nur ein Wort, Süße: Anlagetipps.«
Ich lachte und streifte ebenfalls meinen Ledermantel ab.
»Dann habe ich ja jetzt noch einen Grund zu hoffen, dass Mencheres sein zweites Gesicht bald
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