Dunkle Spiegel
Schwärze des Lochs bis hin zu der Entdeckung der Kammer. Und dann blieb ich an einer Momentaufnahme stehen - wie in einem Film, den man mit Standbild unterbrochen hatte. Ich sah uns in all dem Chaos stehen, das Bild von Mrs. Gumbler und ihrem Mann in den Händen haltend. Und noch einmal trieb es mir die Hitze empor, als ich in dieses Gesicht auf dem Foto blickte - und es wieder erkannte! Er war in der Bar gewesen, ganz in unserer Nähe!
Karl Gumbler hatte seine Frau eingemauert - das stand für mich unumstößlich fest!
Und er hatte für uns einen Momentausschnitt aus unserer Vergangenheit wiederauferstehen lassen, an den wir uns am Abend zuvor noch einmal erinnert hatten, um einem jungen Freund etwas Halt zu geben. Eine erschütternde Szene, von der ich mir schon oft genug gewünscht hatte, sie nie erlebt zu haben.
Weil sie mich quälte.
Weil ich damals das Leid dieser Frau förmlich hatte spüren können, als wir mit Brecheisen die Mauer hatten zertrümmern müssen. Weil mir ihre gekrümmte und in sich zusammengesunkene Gestalt seelische Schmerzen und wochenlange Alpträume bereitet hatte!
Und jetzt quälte er mich! Mit genau diesen Bildern! Mit dem Mord an seiner Frau in genau der gleichen Weise! Nein – es war sogar noch schlimmer! Diese Frau hatte gelebt und versucht, sich unter Auferbietung all ihrer Kraft und ihres Überlebenswillens zu befreien.
Und sie hatte es geschafft! Sie hatte die Mauer durchbrochen.
Doch wozu?
Um dann, geschwächt und in dem Wissen, wer ihr das angetan hatte, was sie geradezu um den Verstand gebracht haben musste, an den Schnitten in den Unterarmen zu verbluten? Sich gerade noch an die Türschwelle zu schleppen und dort zu sterben?
Es schauderte mich.
Doch so lagen die Tatsachen.
Warum hatte er das getan? Wer war Karl Gumbler wirklich?
Ich sah uns wieder in dem kleinen Raum stehen, der Kammer, die wir hinter dem Schrank entdeckt hatten. Als wäre der Mord an dieser Frau auf diese unvorstellbar grauenhafte Weise nicht schon genug des Schreckens gewesen, mussten wir zu unserer Bestürzung noch etwas ganz anderes finden: seinen geheimen Raum. Wir waren in seine kleine, irre Welt vorgedrungen!
Die CDs, der Computer, die Chatseiten - die E-Mails.
Brauchten wir denn wirklich noch mehr Beweise? Die Gewissheit durchbrach auch meine letzten, leisen Zweifel wie ein Vulkan den Erdboden.
Er war das Monster, das wir schon so lange jagten!
Er war der Unbekannte, der in Chaträumen unschuldigen, neugierigen und teilweise auch naiven, jungen Frauen auflauerte, ihnen den modernen Casanova vorgaukelte und sie schwindlig mit Komplimenten und Schmeicheleien machte.
Und wozu? - Um sie besuchen zu können. Um sie zu brechen!
Um ihnen seinen Willen aufzuzwingen!
Und weil sie sich wehrten und er im Rausch seiner Erregung die Kontrolle über die Situation und sich selbst verloren hatte, tötete er sie in seinem Liebesspiel.
Und zuvor filmte er sie. Oder er fotografierte sie.
Mit einer Digitalkamera? Aber eine Antwort auf diese Frage spielte nun wirklich keine Rolle mehr!
Er brachte sie um!
Und die Brutalität hatte von Mal zu Mal zugenommen.
Er war berauscht von seiner Macht!
Würde er sie wieder hergeben? Niemals!
Würde er damit aufhören? Unwahrscheinlich!
Eine kleine Pause würde er vielleicht einschieben, doch nur zu seinem Selbstschutz. Aber wozu eigentlich? Es gab ja genügend Städte und Chaträume in Hülle und Fülle. Und wenn ihm dieses Jagdterritorium plötzlich zu gefährlich werden sollte, was würde ihn dann daran hindern, sich ein anderes zu suchen? - Für eine kurze Zeit würde er wohl in sein zweites Leben schlüpfen! Das Leben, in dem er ein ganz normaler Durchschnittsmann war. Der nette Nachbar, den kaum jemand beachtete.
Der Mann aus dem Supermarkt.
Von der Tankstelle.
Vom Zeitschriftenladen um die Ecke.
Aus der Bar vom Tresen!
Unscheinbar. Einfach nur einer von vielen in einer Gesellschaft, in der einer wie jeder andere wirken konnte.
Der verheiratete Mann ohne Kinder.
Seine Frau war ihm im Weg! Sie wusste wahrscheinlich nichts über sein wahres Ich, sein monströses Hobby und seine mörderische Leidenschaft. Doch sie hätte Hinweise liefern können, aus denen sich dann langsam ein Puzzle zusammen gefügt hätte. Ein Puzzle, von dem wir jetzt noch viele Teile nur vermuten konnten.
Verheiratet.
Zur Tarnung?
Liebe? Leidenschaft?
Die Morde ließen durchaus auf eine gewisse, wenn auch sehr speziell geartete Leidenschaft schließen. Er hatte sie
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