Dunkle Spiegel
hinzu: Fang schon mal an zu tanzen!
*** 35 ***
Leise wie eine Katze war er die Hauswand entlang gehuscht, stets im Dunkeln verborgen. Sobald sich eine Nische oder ein Auto bot, hinter dem er ein wenig mehr Schutz bekommen konnte, hatte er sich zurückgezogen und seinen Laptop geöffnet.
Sie wartete auf ihn!
Immer wieder schrieb er kleine Liebesbotschaften an seine neue Eroberung. Gott, wie er sich auf diesen Augenblick gefreut hatte. Das Haus war nicht mehr weit entfernt. Nur noch ein Katzensprung.
Ein Katzensprung. Was für ein Zufall, dass ich gerade wie eine Katze durch die Dunkelheit schleiche, dachte er.
Vorsichtig sah er sich um.
Da lief jemand!
Mein Gott!
Er hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet, überhaupt irgendjemanden hier zu sehen. So oft er sich umgesehen hatte, war nie jemand in der Nähe gewesen. Und jetzt lief ein Mann mit einer Zeitung unter dem Arm und in einer Art Trainingsanzug über die Straße. Er drückte sich ins Dunkel eines Hauseingangs. Hier war er einigermaßen gut gedeckt.
Außer … wenn dieser Jemand genau in dieses Haus gehen wollte! Aber wie groß war schon diese Wahrscheinlichkeit, dass dieser Kerl ausgerechnet hier rein wollte?
Er dachte kurz fieberhaft nach.
Verdammt, es war möglich! Und was dann?
Der Schweiß trat ihm auf die Stirn. Krampfhaft hielt er den Laptop an seinen Oberkörper gepresst und drückte sich noch enger an die Hauswand.
Die Schritte kamen näher.
Bei jedem Schritt knirschten Steine auf dem Asphalt unter seinen Sohlen. Er schien kräftiger zu sein, als es im Halbdunkel den Anschein gemacht hatte; die schweren Schritte auf dem Asphalt hörten sich kraftvoll an.
Und sie kamen näher.
Er schloss die Augen. Er hörte für einen Moment sogar völlig auf zu atmen.
Der Mann war jetzt nur noch drei oder vier Meter entfernt - und er schien die Straßenseite gewechselt zu haben!
Er war jetzt auf seiner Straßenseite!
Ob er ihn mit dem Laptop einfach niederschlagen sollte? schoss es ihm durch den Kopf. Unmöglich, mahnte eine andere Stimme in seinem pochenden Schädel, er ist wahrscheinlich viel zu stark und würde einfach vor Schmerz brüllen oder schreien. Alle würden davon geweckt werden - und was dann? Dann hatten sie mich!
Er presste die Augenlider und Lippen fest zusammen. Die Schritte waren jetzt vielleicht noch einen Meter entfernt. Er konnte deutlich sein Schnaufen hören. Die Person hustete. Wahrscheinlich ein Raucher, denn das Husten klangrasselnd. Dann hörte er ein anderes Geräusch auf dem Asphalt. Kein normaler Schritt, eher wie eine Drehung mit der Sohle.
Kam er denn wirklich hier her?
Konnte er soviel Pech haben?
Dann hörte er plötzlich gar nichts mehr.
Er hatte Angst, die Augen zu öffnen, aber er musste wissen, wie sein Schicksal aussah.
Stand der Kerl etwa schon direkt vor ihm?
Langsam öffnete er die Lider. Er spähte hektisch durch den ersten Spalt seiner Augen.
Nichts!
Er riss die Augen auf. Kein Fremder stand vor oder neben ihm.
Dann lauschte er angestrengt. Ein leises Knistern von Folie oder Nylon. Vorsichtig lugte er um die Ecke. Und dort stand er , noch auf dem Gehsteig, aber eben genau vor dem Hauseingang.
Er konnte genau die Kapuze des Fremden erkennen, die er sich gegen die Kälte über den Kopf gezogen hatte. Seine linke Hand wühlte wild in der Tasche seines Trainingsanzugs herum. Endlich schien er gefunden zu haben, was er gesucht hatte. Nickend und brummend zog er ein zerknülltes Päckchen Zigaretten hervor. Rasch hatte er einen Glimmstängel herausgefischt, ihn angezündet und den Rest wieder in der Tasche verschwinden lassen.
Dann nahm er einen tiefen Zug und für einen kurzen Moment wurde sein Gesicht durch das Glimmen leicht erleuchtet. Doch er konnte außer diesen stechenden Augen, einer unglaublich runzligen Nase und einem struppigen Oberlippenbart nichts erkennen.
Der Fremde setzte zum Weitergehen an.
Zum Glück!
Innerlich fühlte er, wie sich eine ganze Geröllhalde von seinem Herz zu lösen schien und sich die eiserne Klaue, die es kurze Zeit umschlossen gehalten hatte, jetzt wieder öffnete.
Doch dann erklang ein leises Piepen!
Und die Schritte auf dem Asphalt hielten wieder inne!
Panik ergriff ihn! Das Piepen war unter seinem Arm hervor gekommen! Von seinem Laptop! Es war der Akku, der eine zehn Minuten vor der völligen Entladung ein Signal abgab - ein langes, anhaltendes Piepen! Er hatte es selbst so eingestellt, um gewarnt zu sein.
Und genau das konnte ihm jetzt zum Verhängnis
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