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Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie

Titel: Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuala O'Faolain
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den West Side Highway erreicht und waren schon ganz in der Nähe des Hotels.
    »Vater unser«, begann der Fahrer feierlich, »der du bist im Himmel …«
    Wir stimmten mit ein und sprachen gemeinsam das Gebet zu Ende.
     
    Min fand auch, dass das Zimmer aussah wie aus einem Hollywoodfilm. »Ein weißer Teppich! Gott sei Dank muss ich den nicht sauber halten.« Und ihrer Meinung nach ähnelte die junge Frau an der Rezeption der Schauspielerin, die in Dallas mit Bobby verheiratet war. Ansonsten verfiel sie jetzt wieder in ihr gewohntes Schweigen und schaute stumm aus dem Fenster, wo der Himmel über der tiefen Schlucht von Highway und Fluss eine wilde Magenta-Schwarz-Mischung aufwies. Mich überkam schon wieder das übliche Unbehagen. Wenn Min früher auf ihrem alten Grammophon die 78er-Schallplatten mit den Opernarien
abspielte, hatte mir immer »Dreams that are Brightest« am besten gefallen. Tja, und hier befanden wir uns in einer Situation, die sich tatsächlich fast so anfühlte, als wäre ein Traum in Erfüllung gegangen. Besser ging’s nicht. So einen Satz hätte Min jetzt sagen müssen. Wir hatten ein Zimmer mit einem weißen Sofa, das so lang war wie die Fensterfront, hinter der ein grandioser Abendhimmel leuchtete, und außerdem gab es zwei riesige Betten mit Kissen und Decken aus Samt und Seide. Neben jedem Bett befand sich ein Telefon, und im Badezimmer stand ein dritter Apparat. Eigentlich übertraf dieses Setting alle unsere Träume – wer hätte früher gedacht, dass wir eines Tages in so einem Hotel und in so einer Stadt Urlaub machen würden? Und ein Mann, der aussah wie Clint Eastwood auf dem Höhepunkt seiner Karriere, führte uns zum Abendessen aus. Auch dafür müsste Min sich bei mir bedanken, fand ich.
    Aber zwischen uns herrschten andere Umgangsformen. Ich konnte nur fragen: »Was war eigentlich los?«
    »Ach, dieses Sunshine Home war fürchterlich«, schimpfte sie. »Da darf man nicht mal seinen schlimmsten Feind hinschicken. Du hättest hören sollen, wie die Leute dort heulen und schreien! Und wir mussten den ganzen Tag vor dem Fernseher sitzen und Autorennen anschauen.«
    »Aber du hattest doch ein Zimmer für dich«, wandte ich ein. »Du hättest dort bleiben können, außer bei den Mahlzeiten. Und wenn du schon unbedingt weglaufen wolltest – warum musste es ausgerechnet der Flughafen sein? Du hättest doch einfach nach Hause gehen können, statt so einen Aufstand zu machen. Wenn es dir gut genug geht, um nach Amerika zu fliegen, dann hättest du auch nach Hause gehen können.«
    Doch dann geschah etwas: Ich berührte sie zufällig. Sie stand in der Kochnische und wühlte in ihrer Einkaufstasche nach den Teebeuteln, die sie am Abend vorher in der Pension eingesteckt hatte. Weil nicht genügend Platz für uns beide war, beugte ich
mich über sie, um Wasser in den Kocher laufen zu lassen. Dadurch stieß ich seitlich mit ihr zusammen. Fast hätte ich laut aufgeschrien. Ich spürte, wie sie am ganzen Körper zitterte. Das Zittern war so stark, dass sie es nicht unterdrücken konnte, obwohl sie bestimmt nicht wollte, dass ich etwas merkte. Sie war nervös wie ein junger Hund. Wahrscheinlich hatte sie deswegen aufgehört zu reden – sie brauchte ihre ganze Kraft, um ihr Gesicht und ihre Stimme unter Kontrolle zu behalten. Ich drehte den Hahn auf, als wäre nichts passiert. Sie sollte nicht merken, dass ich Bescheid wusste. Aber mir war jetzt klar, dass sie schreckliche Angst hatte. Es gab ja auch so vieles, wovor sie sich fürchten musste: vor meiner Wut, weil sie hier nicht mehr durch die Anwesenheit des Taxifahrers geschützt war. Vor meinen neugierigen Fragen. Davor, dass ich mich hier auskannte, während sie keine Ahnung hatte. Sie war nicht mehr zu Hause, wo sie alles im Griff hatte.
    Und es gab noch andere Schwierigkeiten, die sie bewältigen musste. Min war fast siebzig, und sie hatte immer ein sehr bescheidenes Leben geführt – so bescheiden, wie man es sich nur vorstellen kann. Jede Woche, wenn sie ihren Rentenscheck einlöste, teilte sie ihr Geld sorgfältig zwischen mehreren Dosen auf, die verschieden beschriftet waren: Strom, Bells Futter, Gas, Versicherung, Fernsehgebühren. Den Rest steckte sie in den Geldbeutel mit Reißverschluss, der sich in der Innentasche ihrer Handtasche befand. Damit war ihre Finanzplanung erledigt. Und nun flog sie plötzlich das erste Mal nach Amerika, passierte zum ersten Mal den amerikanischen Zoll, kochte zum ersten Mal Tee mit einem

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