Dunkle Umarmung
sprechen, was sich in dem Häuschen abgespielt hatte, öffnete ich die Tür und stand vor einem unberührten Bett. Voller Erstaunen und Entsetzen lief ich ins Eßzimmer, und dort fand ich Tony vor, der das Wall Street Journal las und Kaffee trank.
»Wo ist meine Mutter?« fragte ich. »Es sieht nicht so aus, als hätte sie letzte Nacht in ihrem Bett geschlafen.«
»Hat sie auch nicht«, gab er gelassen zurück und blätterte die Seite um.
»Und wo war sie?« fragte ich. Er ließ die Zeitung sinken und sah mich mit einem verdrossenen Gesicht an. Er ärgerte sich nicht über mich, das merkte ich – er ärgerte sich über sie.
»Sie hat gegen elf Uhr angerufen, um mir mitzuteilen, daß sie und ihre Freundinnen sich entschlossen haben, die Nacht in Boston zu verbringen. Ich mußte Miles in ihr Hotel schicken, damit er ihr für heute etwas zum Anziehen bringt.«
»Aber… wann kommt sie wieder nach Hause?«
Er zuckte mit den Achseln.
»Das weiß ich genausowenig wie du.« Er sah mich scharf an.
Dann nickte er Curtis zu, der wie eine Statue in einer Ecke gestanden hatte, und bat ihn, uns das Frühstück zu bringen.
Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Ich wollte nicht wieder mit ihm in das Häuschen hinter dem Irrgarten gehen, ohne vorher mit meiner Mutter geredet zu haben, aber Tony hatte es eilig, wieder an die Arbeit zu gehen.
»Warum ziehst du dir heute morgen nicht eines deiner weiten Baumwollhemden an?« schlug er vor. »Das würde uns die Sache vereinfachen. Und heute ist es sehr warm.«
Sonst nichts? Kein Höschen, keinen BH, nichts weiter als ein langes Baumwollhemd? Er sah meinen Gesichtsausdruck.
»Aus rein praktischen Gründen«, merkte er an. Ich nickte.
Nach dem Frühstück ging ich in mein Ankleidezimmer und tat, was er vorgeschlagen hatte. Ganz im Gegensatz zu seinen Vorhersagen war ich heute morgen keine Spur weniger nervös.
Er war so lebhaft wie am Tag zuvor, als wir durch den Irrgarten zu dem Häuschen liefen, wenn nicht noch angeregter.
Er baute eilig alles auf.
»Heute wird gemalt«, kündigte er an. »Bist du bereit?«
Ich warf einen Blick auf die Fenster. Sämtliche Jalousien waren heruntergezogen, aber er hatte die Scheiben einen Spalt weit geöffnet, damit etwas Luft hereinkam. Dann sah ich ihn wieder an, und auf seinem Gesicht standen Erwartung und Vorfreude. Ich war in Versuchung, aus dem Haus zu laufen.
Meine Lippen fingen an zu zittern.
»Was ist?« fragte er, als er meinen Aufruhr bemerkte.
»Ich komme mir vor…«
»Du armes Ding. Ich lege hier einfach los, ohne Rücksicht auf deine Gefühle zu nehmen. Entschuldige, Leigh«, sagte er und zog mich in seine Arme. »Ich weiß, daß es nicht gerade einfach für dich ist, aber wir sind gestern so gut miteinander zurechtgekommen, daß ich dachte, du hättest deine Scheu überwunden. Und jetzt holst du ganz tief Atem«, empfahl er,
»und denkst an das wunderbare Werk, das wir gemeinsam vollbringen, ja?«
Ich schloß die Augen und holte tief Atem, aber mein Herz schlug so heftig, daß ich glaubte, ohnmächtig zu werden. Er spürte, daß ich wankte.
»Weißt du, was?« sagte er. »Eigentlich brauchst du für den Anfang gar nicht zu stehen. Du kannst dich aufs Sofa legen, und ich fange schon an.«
»Auf das Sofa?«
»Ja. Ich helfe dir. Laß die Augen einfach geschlossen. Komm schon«, ermutigte er mich. Ich tat, was er sagte. »Entspann dich. Ja, so ist es schön. Ganz locker«, sagte er, und ich spürte, wie seine Finger mein loses Baumwollhemd unter der Taille festhielten. Langsam und sachte zog er es hoch. »Heb die Arme hoch. Bitte«, flüsterte er. Ich tat es, und er zog mir das Hemd über den Kopf. Ich hielt die Augen auch dann noch geschlossen, als Tony es über meine erhobenen Hände gezogen hatte. Er legte es hin und umfaßte dann meine Schultern, um mich behutsam zum Sofa zu führen.
»Leg dich hin. Mach es dir bequem«, sagte er.
Ich ließ meinen Kopf auf das Kissen sinken, das er an die Armlehne des Sofas gezogen hatte, und dann schlug ich die Augen auf. Er stand vor mir und sah lächelnd auf mich herab.
»Gut. Siehst du, es geht doch ganz einfach.«
Er kehrte zu seiner Staffelei zurück und begann zu arbeiten.
Die Zeit schien langsamer als gestern zu vergehen. Als er ankündigte, wir würden jetzt zu Mittag essen, reichte er mir das Laken, das er mir gestern schon umgehängt hatte. Ich hüllte mich hinein. Es gab wieder belegte Brote und Wein.
Tony sprach über einige interessante Ideen, die er sich für
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