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Dunkle Umarmung

Dunkle Umarmung

Titel: Dunkle Umarmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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es würde mir in der Brust zerspringen. Was hatte er getan? Was hatte ich ihm gestattet? Wußte Mama, daß es dazu kommen würde? Warum hatte sie mich nicht gewarnt?
    »Ja«, sagte Tony. »Jetzt wird es richtig. Jetzt stimmt alles.«
    Er lächelte mich an und arbeitete weiter. Nicht viel später hörte er abrupt auf, trat zurück, um sein Werk zu betrachten, und nickte dann.
    »Gut«, sagte er. »Für heute haben wir genug getan. Warum ziehst du dich nicht an, solange ich aufräume?«
    Ich kehrte ihm den Rücken zu und fing an, mich anzuziehen.
    Als ich fertig war, forderte er mich auf, mir die Skizze anzusehen.
    »Nun, was hältst du davon?«
    Ich konnte die Ähnlichkeit mit meinem Gesicht erkennen. Er hatte meine Kopfform und mein Kinn perfekt gezeichnet, doch mein Oberkörper wirkte wesentlich reifer, als ich es war.
    »Es ist sehr gut, Tony«, sagte ich, »aber du hast mich älter gemacht.«
    »Es geht auch darum, wie ich dich sehe, verstehst du? Das ist ein Kunstwerk, keine Fotografie. Die Hälfte davon existiert nur in der Vorstellung des Künstlers. Deshalb war es mir auch so wichtig, dich zu berühren. Ich hoffe, du verstehst das, Leigh«, sagte er, und auf seinem Gesicht stand ein besorgter Ausdruck.
    »Ja«, behauptete ich, aber eigentlich verstand ich es nicht.
    Meine eigenen Gefühle konnte ich auch nicht verstehen. Ich war in größter Verlegenheit gewesen, hatte mich gefürchtet und war gleichzeitig der Faszination erlegen. Das war alles sehr verwirrend, und ich faßte den Entschluß, mit meiner Mutter darüber zu reden, ganz gleich, was geschehen mochte.
    Doch sie war bereits fort, als Tony und ich ins Haus kamen.
    Sie hatte eine Nachricht hinterlassen, in der sie erklärte, sie ginge mit einigen ihrer Freundinnen aus, und sie wollten gemeinsam zu Abend essen und dann in Boston ins Theater gehen. Das überraschte Tony mindestens ebenso sehr wie mich.
    »Es sieht ganz so aus, als würden wir beide heute wieder einmal allein zu Abend essen«, meinte er.
    Kurz nachdem ich meine Suite betreten hatte, besuchte mich Troy. Die Windpocken und die Masern, seine Allergien und Erkältungen hatten ihn so schmal und blaß werden lassen.
    Sogar die Zeit, die er in der Sommersonne verbrachte, trug nicht allzuviel dazu bei, seinem Teint eine gesündere Farbe zu verleihen. Trotz seiner schlechten Verfassung strahlte er, als er mein Schlafzimmer betrat, um sich zu erkundigen, wie unsere Sitzung für die Tatterton-Porträtpuppe verlaufen war.
    »Wann wird sie fertig?« fragte er. »Diese Woche noch?«
    »Ich weiß es nicht, Troy. Heute haben wir nur an der Skizze gearbeitet. Tony muß mich noch malen und dann mit seiner Arbeit an der Skulptur beginnen. Hast du schon zu Abend gegessen?« fragte ich. Die Ärzte hatten genaue Zeiten für seine Mahlzeiten festgelegt, und er aß gewöhnlich früher als wir. Ich wußte, daß das meiner Mutter nur zu recht war, aber ihn machte es sehr unglücklich, allein oder mit seiner Krankenschwester essen zu müssen.
    »Ja, und dieses pappige Zeug mußte ich auch wieder trinken«, klagte er.
    »Es tut dir gut, Troy, und es wird dich kräftigen. Bald wird es dir bessergehen, und dann kannst du dein Pony wieder reiten und schwimmen gehen und…«
    »Nein, ganz bestimmt nicht«, seufzte er. »Es wird mir nie mehr besser gehen, und ich werde auch nicht so lange leben wie andere.«
    »Troy! So etwas darfst du nicht sagen. Wie kannst du nur solche schrecklichen Dinge behaupten?« schalt ich ihn.
    »Ich weiß, daß es wahr ist. Ich habe gehört, wie es der Arzt zur Krankenschwester gesagt hat.«
    »Was hat er gesagt?« fragte ich und war empört darüber, daß ein Arzt so etwas in seiner Gegenwart hatte von sich geben können.
    »Er hat gesagt, ich sei so zart wie eine Blume, und wie eine Blume bei einem rauhen Wind umknickt, könnte ich auch umknicken, wenn ich je ernstlich krank würde.«
    Ich starrte ihn einen Moment lang an. Auf eine seltsame Weise hatte seine Krankheit ihn reifer gemacht.
    »Troy, er hat doch nur gemeint, daß du im Moment für Krankheiten aller Art anfällig bist, aber du wirst wieder kräftiger. Was sollte ich ohne meinen kleinen Stiefbruder anfangen?«
    Er strahlte mich an.
    »Du willst, daß ich immer dein kleiner Stiefbruder bleibe?«
    »Ja, natürlich.«
    »Und du wirst mich nie hier allein lassen?« fragte er skeptisch.
    »Wohin sollte ich denn gehen? Ich bin jetzt hier zu Hause, genau wie du.«
    Ich griff sachte nach seinem Handgelenk und zog ihn schnell in meine

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