Dunkle Umarmung
wahrhaft verliebt.«
»Was?« Ich sah wieder ins Wohnzimmer und dachte an diese Einladungen. »Du hast dich in einen anderen Mann verliebt?
Diese Muster da drüben, Einladungen zu einer Hochzeit…«
murmelte ich, und die Erkenntnis brach wie eiskalter Regen über mich herein.
»Du hast sie gesehen?«
Ich nickte.
»Dann kann ich dir ja gleich alles sagen«, sagte sie und richtete sich entschlossen auf. »Ich liebe Tony Tatterton, und er ist rasend verliebt in mich, und wir werden an Weihnachten heiraten und auf Farthy leben!« Urplötzlich verwandelte sich das Gesicht, das wie eine monströse Karikatur meiner schönen Mama gewirkt hatte – es entspannte sich wieder. Dann lächelte sie, und ihre Augen strahlten.
Ich hatte zwar schon geahnt, daß so etwas auf mich zukam, doch als sie diese Worte tatsächlich aussprach, war die Wirkung verheerend. Ich spürte, wie mein Gesicht weiß wurde und jedes Blut aus ihm wich. Eine Mischung aus Entsetzen und Kummer ließ meine Beine taub werden, und ich fühlte mich vor Entsetzen festgenagelt. Ich konnte nichts sagen, konnte nicht schlucken. Ich glaube, mein Atem stockte, und mein Herzschlag setzte aus. Es war, als hätten sich zwei riesige, eisige Hände auf meine Brust gelegt.
»Du darfst mich jetzt nicht hassen, und du mußt dich bemühen, mich zu verstehen, Leigh. Bitte. Ich spreche mit dir von Frau zu Frau.«
»Aber, Mama, wie konntest du dich bloß in einen anderen Mann verlieben?« Mir schossen tausend Gedanken durch den Kopf. Als mir wieder einfiel, wie Mama und Tony auf dem Abschiedsball miteinander getanzt hatten, bekam jeder Moment, in dem er sie in seinen Armen gehalten hatte, jeder Blick, den er ihr zugeworfen hatte, eine neue Bedeutung. Ich hatte etwas gespürt, als ich mit ihr nach Farthy gefahren war und gesehen hatte, wie sie nebeneinander herliefen und flüsterten, aber ich hatte das Gefühl nicht verstanden. Wie kommt es, daß das Herz solche Dinge weit eher erkennt als der Verstand? fragte ich mich.
»Es ist nicht schwer zu verstehen, warum oder wie es zu alldem gekommen ist, Leigh. Tony bewundert mich, er betet mich an. Er sagt, ich sei wie eine mythische Gottheit, die vom Himmel herabgestiegen ist, um sein Leben lebenswert zu machen, denn selbst Männer, die sein Geld und seinen Einfluß besitzen, fühlen sich unvollständig, wenn sie keine Frau haben, die sie lieben und von der sie geliebt werden.
Liebe, wahre Liebe, ist die Erfüllung im Leben, die ihm erst seinen Sinn gibt, Leigh. Das wirst du auch noch verstehen.
Darf ich dir noch mehr erzählen? Wirst du mir zuhören wie meine beste Freundin, eine sehr enge Freundin? Ich habe nie eine wirklich gute Freundin gehabt.«
»Ich bin deine Freundin, Mama. Ich… ich bin nur…«
»Wie schön«, sagte sie, und ein verträumter Blick trat in ihre Augen, als sie in die Ferne schweiften. »Als ich Tony das erste Mal gesehen habe, da war es, als würde jede Wolke von einem blauen Himmel fortgefegt. Alles wurde heller und strahlender um mich herum. Die Farben nahmen eine größere Leuchtkraft an, die Vögel sangen, und der Wind wurde sanft und erfrischend. Ich konnte es morgens kaum noch erwarten, aufzustehen und nach Farthy zu fahren, nur einfach, um in seiner Nähe zu sein, seine Stimme zu hören und seine Blicke auf mir zu spüren.
So ist die Liebe, Leigh, die wahre Liebe.« Sie streckte die Hände nach mir aus. Ihre Worte waren so voller Zauber, ihre Bilder so wunderschön, daß ich unwillkürlich näher trat, bis sie meine Hände nehmen und mir in die Augen sehen konnte.
»Ich wußte, daß er mir sein Herz geöffnet hat und daß ich dort einen Platz gefunden hatte. Immer, wenn er etwas zu mir sagte, wurde seine Stimme so weich, so liebevoll. In seinen Augen stand eine Sehnsucht, die mir einen Schauer über den Rücken laufen ließ«, sagte sie und vertraute sich mir an wie ein Schulmädchen, das gerade seine erste Liebe entdeckt hat. »Oh, anfangs habe ich versucht zu widerstehen, Leigh. Ich war deinem Vater nicht untreu. Ich habe mir immer wieder gesagt, daß ich eine verheiratete Frau bin, daß ich einen Mann und ein Kind habe und an beide denken muß, aber als Tony und ich einander immer nähergekommen sind, ist jeder Widerstand in mir geschwächt worden.
Eines Abends, nachdem ich meine Arbeit beendet und aufgeräumt hatte, um nach Hause zu fahren, bat er mich, noch einen Spaziergang mit ihm zu machen, um auf das Meer hinauszuschauen. Ich zögerte, doch er flehte mich an und versprach mir,
Weitere Kostenlose Bücher