Dunkle Umarmung
sich wie ein Vater zu geben versuchte, und ich zuckte zusammen, wenn er mich aufs Haar küßte, aber ich mußte mir eingestehen, daß ich ein angenehmes Prickeln in meinem ganzen Körper spürte, wenn seine Hände meine Schultern berührten oder wenn seine Lippen mein Haar streiften.
Und seine Augen! Als er mich angesehen hatte, war das Blau seiner Augen strahlender als sonst gewesen. Oh, bei einem Mann, der so raffiniert wie Tony war, mußte ich vorsichtig sein, dachte ich. Ich mußte mir mehr Gedanken darüber machen, was meine Augen eventuell verraten konnten.
Schließlich war er der Mann, der Mamas Herz für sich gewonnen hatte.
Und doch sah ich immer wieder seine zarten blauen Augen und sein schönes Gesicht vor mir, wie er mich um Verständnis und Liebe anflehte und bettelte, ich solle in ihm meinen neuen Daddy sehen. Wie hätte ich je in einem so jungen Mann einen Daddy sehen können, und wenn er je dahinterkommt, wie alt Mama wirklich ist, wird er sich ganz schön dumm vorkommen, dachte ich.
Das Leben, das einst so einfach und erfreulich wie in den Geschichten in Kinderbüchern gewesen war, war jetzt so kompliziert und hart. Ich haßte es, hier zu sein, ich haßte es!
Ich haßte es, in diesem Kleid zu stecken und mich für diese Probe herzurichten, ich haßte die Vorstellung, Brautjungfer bei der Hochzeit meiner eigenen Mutter sein zu müssen, ich haßte dieses Haus und die Hausangestellten und das ganze Anwesen und…
»Hallo. Bist du schon fertig?«
Als ich mich umdrehte, sah ich den kleinen Troy in seinem Smoking und mit der winzigen schwarzen Krawatte und ordentlich gebürstetem Haar in meiner Schlafzimmertür stehen. Er trug einen goldenen Siegelring an der linken Hand und sah aus wie eine Miniaturausgabe seines gutaussehenden und eleganten großen Bruders. Meine ganze Wut verrauchte.
»Fast«, sagte ich.
»Tony sagt, wir können unsere ›guten‹ Kleider wieder anziehen, sowie die Probe vorbei ist«, erzählte mir Troy eifrig.
Ich lachte darüber, wie er die Augen aufriß und mit dem Kopf nickte.
»Unsere guten Kleider?«
»Ich muß sehr aufpassen, wenn ich so angezogen bin, ich muß achtgeben, was ich anfasse und wohin ich trete«, klärte er mich auf. Er rümpfte die Nase, um auszudrücken, wie schrecklich er das fand. Er war so niedlich, daß ich ihn am liebsten wie einen meiner Teddybären an mich gedrückt hätte.
»Stimmt. Ich kann es selbst nicht erwarten, wieder meine
›guten‹ Kleider anzuziehen.« Ich stand auf, warf noch einen letzten Blick auf mein Spiegelbild und machte mich dann auf den Weg. Er gab mir seine Hand, und wir gingen zusammen hinunter.
Während der gesamten Probe kam ich mir vor wie in einem Traum. Als ich von all diesen Fremden umgeben war und beobachtete, wie Mama und Tony ihre bevorstehende Hochzeitsfeier durchspielten, sah ich mich immer wieder unwillkürlich um und hielt nach Daddy Ausschau. Irgendwie rechnete ich damit, daß er durch die große Eingangstür gestürmt kam. Ich gestattete meiner Phantasie, die Oberhand zu gewinnen. In meinem Traum setzte die Musik aus, und alle drehten sich zu Daddy um.
Meine Träumerei endete, platzte wie eine Seifenblase, als der kleine Troy erwartungsvoll an meiner Hand zog. Ich stand hinter den anderen Brautjungfern. Wir waren vor Mama die Treppe heruntergekommen und hatten uns aufgestellt, während der Geistliche das Zeremoniell mit dem Brautpaar durchsprach. Anscheinend war all das jetzt beendet, und Troy erinnerte mich an mein früheres Versprechen, mit ihm ins Freie zu gehen.
»Seid in etwa einer Stunde zum Mittagessen zurück«, sagte Tony.
Ich ging mich umziehen und war kaum fertig, als Troy dick eingepackt in mein Zimmer stürmte, um mich abzuholen und sich mit mir in den Schnee zu stürzen.
»Brauchen Sie mich? Soll ich mitkommen?« fragte Mrs.
Hastings, und die Antwort, die sie erhoffte, stand ihr ins Gesicht geschrieben.
»Nein, Mrs. Hastings. Wir kommen schon allein zurecht«, erwiderte ich. Sie wirkte, als hätte ich ihr nach zehn Jahren harter Arbeit eine Pause gegönnt. Mit kleinen Jungen schien man alle Hände voll zu tun zu haben, dachte ich und lachte dabei in mich hinein. Ich zog meinen Mantel und meine Handschuhe an und nahm Troy an der Hand. Wir gingen die Treppe hinunter zu seinem Schneemann.
Es war zwar ziemlich hell, aber der Himmel hatte sich zugezogen, und es schneite. Ich sah Troy zu, als er geschickt die Finger des Schneemanns formte, und ich hörte mir an, was er mir über die
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