Dunkle Visionen
durch die Gegend. Ich mache mir Sorgen um sie.“
„Kyle, sie ist erwachsen. Du bist nicht mal richtig verwandt mit ihr und dazu kommt, dass du dich ein paar Jahre überhaupt nicht um sie gekümmert hast. Du bist einfach auf dem Holzweg, wenn du glaubst, dass du jetzt plötzlich ihren Schutzengel spielen kannst.“
„Vielleicht hast du ja Recht.“
Sie wechselten das Gesprächsthema und redeten über die Börse, und Rafe erteilte Kyle Ratschläge, wo er investieren sollte. Es war spät, als Kyle sich von seinem Bruder verabschiedete.
Und noch später, als er schließlich nach weiteren zwei Bieren ins Bett ging.
Er hoffte, schnell einzuschlafen.
Vergebens.
Zuerst lag er wach und zerbrach sich den Kopf darüber, was es gewesen sein könnte, das er womöglich übersehen hatte. Irgendetwas auf den Bildern der Opfer oder in den Obduktionsberichten.
Er stand wieder auf und blätterte die Berichte noch einmal durch. Herrgott, was war es bloß?
Dann hatte er es, und ihm wurde klar, dass er so lange gebraucht hatte, weil das Foto, das Julie Sabor zeigte, nur ein Schwarzweißfoto war.
Rothaarige.
Sie waren alle rothaarig.
Maria Garcia war sehr dunkel gewesen, aber ihr Haar hatte trotzdem einen rötlichen Schimmer. Und die Leiche heute …
Er fühlte sich hundeelend. Er sorgte sich mehr denn je um Madison. Erneut rief er bei ihr an.
Sie nahm nicht ab.
Er legte auf. Rafe hatte ihm praktisch zu verstehen gegeben, dass sie mit ihrem Ex schlief. Wenn er gewusst hätte, wo Darryl wohnte, hätte er dort anrufen können, aber er wusste es nicht.
Obwohl es bereits sehr spät war, beschloss er, Jassy anzurufen. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich mit verschlafener Stimme meldete. „Es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass Madison bei Darryl ist, aber ich nehme eher an, dass sie zu Hause ist. Sie stellt das Telefon nach zehn leise, weil Carrie Anne einen leichten Schlaf hat. Ruf sie morgen früh an, Kyle. Ich bin mir sicher, dass bei ihr alles okay ist.“
Er erwog, zu ihrem Haus zu fahren und an ihre Tür zu hämmern, bis sie aufmachte. Aber sie würde ihm wahrscheinlich das Gesicht zerkratzen und anschließend seine Warnungen noch mehr als bisher in den Wind schlagen. Er musste Ruhe bewahren und sich bis morgen gedulden. Und wahrscheinlich schlief sie ja wirklich bei ihrem Ex, und alles war gut.
Die Minuten dehnten sich zu Stunden. Er lag immer noch wach.
Endlich schlief er ein.
Und träumte.
Er träumte wieder, dass Madison und er in demselben Haus waren. Und er bewegte sich einen dunklen Flur hinunter in der Absicht, zu ihr zu gehen. Er hatte sich ein Handtuch um die Hüften geschlungen. Er hatte geduscht, und er dachte nur an eins – an Madison. Die Zeit war reif. Es spielte keine Rolle, dass sie sich ständig in den Haaren lagen. Es war einfach an der Zeit. Sie wusste es genauso wie er. Es hatte nichts mit den Gefühlen zu tun, die ihn mit Fallon verbunden hatten. Es hatte weder mit der Vergangenheit noch mit der Zukunft zu tun, und sie wusste das auch.
Deshalb ging er jetzt diesen Flur hinunter. Er war dunkel und verschwommen und schien kein Ende nehmen zu wollen.
Wie der Flur in dem Haus, das Lainie Adair vor all diesen Jahren mit Roger Montgomery bewohnt hatte.
Am Ende des Flurs war Madison, in ihrem Zimmer. Ein weicher Lichtschein fiel über ihre Gestalt. Sie war ebenfalls in ein Badelaken gehüllt. Ihr Haar war trocken, es leuchtete feuerrot in dem seltsamen Licht und fiel ihr wie ein Umhang über die nackten Schultern und den Rücken hinab. Er konnte sie sehen, während er über den Flur ging. Das Kinn hatte sie angriffslustig vorgestreckt, ihre Augen glitzerten, die Lippen hatte sie gespitzt, als wollte sie gleich etwas sagen. Sie würde ihm sagen, was er mit sich selbst tun sollte, aber es spielte keine Rolle. Was sie sagte, war egal, nur Taten zählten. Und sie wartete, weil sie beide wussten, dass das, was gleich geschehen würde, unausweichlich war.
Er verspürte ein Ziehen in den Lenden.
Er begegnete ihrem Blick. Spürte die Wut, die in ihr hochkochte, weil sie ihn begehrte und er es wusste. Sie wollte ihn nicht begehren, und sie wollte ihn unter keinen Umständen wissen lassen, dass sie ihn begehrte …
Er lächelte. Und ging näher an sie heran.
Dann passierte es …
Als es plötzlich dunkler wurde. Als sie plötzlich so weit weg war von ihm. Als die Luft um ihn herum sich verwandelte. Als er spürte …
Als er spürte, dass außer ihnen beiden noch jemand im Zimmer war.
Zwischen
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