Dunkle Visionen
in der Hector ihr wieder einmal den Sand abbürstete – war sie völlig perplex, als sie aufschaute und Kyle Montgomery neben Jaime und Michelle im Hintergrund stehen sah. Er sprach mit den beiden, aber sein Blick ruhte auf ihr. Er trug nichts als eine ausgewaschene, abgeschnittene Jeans, Sandalen und die unvermeidliche Sonnenbrille. Eine Strähne seines dunklen Haars fiel ihm in die Stirn, seine Haut war unglaublich braun und mit einem feinen Schweißfilm überzogen. Er sah aus wie ein Rettungsschwimmer.
Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da war er es gewesen, wie ihr jetzt einfiel. In den letzten beiden Sommern, bevor er aufs College gegangen war, hatte er als Rettungsschwimmer gearbeitet.
Das war lange her. Jetzt gehörte er nicht mehr hierher.
Was also tat er hier? Eigentlich hätte er jetzt in Miami in Jimmys Büro sitzen sollen.
Obwohl sie sich bemühte, es zu übersehen, spürte sie, wie ihr heiß wurde. Ihr Herz begann zu hämmern, das Atmen wurde ihr schwer. Sie wünschte sich, Kyle wäre in Washington geblieben.
Sie drückte entschlossen die Knie durch, weil sie sich plötzlich so schwach anfühlten. Sie verfluchte sich, weil sie es zuließ, dass er sie derart aus dem Konzept brachte. Sie fragte sich, ob er verschwinden würde, wenn sie die Augen schlösse.
Sie versuchte es. Er verschwand nicht.
Jaime machte lächelnd eine einladende Handbewegung in Madisons Richtung. Kyle nickte, dann begann er, auf sie zuzugehen. Sein lässiger Beach-Boy-Look wurde von seiner finsteren Miene Lügen gestraft. Er blieb abrupt vor ihr stehen, und sie war sich sicher, dass er seine gesamte Willenskraft aufbringen musste, um nicht die Hände nach ihr auszustrecken und sie zu schütteln.
„Was tust du hier?“ fragte sie, wobei sie verärgert registrierte, dass sie längst nicht so gelassen klang, wie sie es sich wünschte. Ihre Stimme hörte sich scheußlich schrill an. Sie schien sich in seiner Gegenwart nicht sonderlich gut im Griff zu haben.
„Ich schaffe es nur mit Anstrengung, dir keine zu kleben, du verrücktes Huhn“, erwiderte er zornig.
„Spinnst du? Was zum Teufel ist los mit dir?“ fragte sie völlig perplex.
„Du“, stieß er hervor, riss sich die Sonnenbrille herunter und starrte sie aus grünen Augen, die so klar wie Smaragde waren, an. „Du!“ wiederholte er voller Ingrimm, während er sich mit den Fingern durchs Haar fuhr. „Verdammt nochmal, Madison, was tust du hier?“
Überrascht von dem Ausmaß seiner Wut, erwiderte sie: „Entschuldige, aber ich mache hier nur meine Arbeit. Und tatsächlich bin ich im Augenblick besonders gut. Du warst wütend, weil ich mich in deine Arbeit eingemischt habe. Nun, ich habe mich zurückgezogen, was also zum Teufel ist jetzt dein Problem?“ Sie war stolz auf sich. Sie hatte in einem sehr ruhigen Ton gesprochen.
„Was fällt dir ein, einfach zu verschwinden, ohne jemandem zu sagen, wo du bist?“
„Darryl weiß, wo ich bin – er hat Carrie Anne.“
„Darryl! Und das, glaubst du, reicht?“
„Warte, lass mich nachdenken. Hätte ich statt dem Vater meines Kindes – der sich während dieser Zeit um dieses Kind kümmert – besser meinem Stiefbruder, den ich seit mehr als fünf Jahren nicht gesehen habe, eine Nachricht zukommen lassen sollen, wo ich mich aufhalte? Dem Stiefbruder, der mit nichts, aber gar nichts von dem, was ich mache, einverstanden ist?“
Jetzt konnte er sich nicht mehr zurückhalten. Seine Hand schnellte vor, packte sie am Unterarm und zog sie zu sich heran, damit ihr auch wirklich kein Wort von dem, was er sagte, entging. „Nein, Madison, nicht mir. Aber vielleicht deiner Schwester, deinem Vater, irgendjemandem.“
Sie versuchte, sich von ihm loszureißen, aber er gab sie nicht frei. Sie beschloss, dass es würdelos war, sich unter seinem Griff zu winden, und gab ihre Gegenwehr auf.
„Es ging alles ziemlich schnell. Mein Vater hält sich derzeit in Miami auf, und eigentlich hatte ich vor, ihn nachher noch anzurufen, um ihn zu informieren, dass ich für ein paar Tage hier in seinem Haus wohne, aber vielleicht lasse ich es auch.“
„Unverantwortliches kleines Biest!“ brummte er.
Madison war sprachlos über die Wut, die in seiner Stimme mitschwang. Sie versteifte sich und zwang sich, ruhig zu bleiben. „Findest du? Es tut mir wirklich schrecklich Leid, dass du das, was ich tue, nicht billigen kannst. Aber ich trage für Carrie Anne die Verantwortung, nicht für dich. Und ich hätte meine Familie schon noch angerufen
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