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Dunkler Grund

Dunkler Grund

Titel: Dunkler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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andere Leute die Zeitung.«
    »Ich war auf der Krim.« Hester wich eine Stufe zurück. Sie wollte nicht umgestoßen werden, wenn er den Halt verlor, was unmittelbar bevorzustehen schien.
    »Krim? Weshalb denn das?«
    »Ich war im Krieg.«
    »Ach.«
    »Ich würde jetzt gerne…« Sie wollte ihn bitten, sie durchzulassen, doch dann hörte sie die leisen Schritte des Butlers McTeer, der hinter ihr die Treppe heraufkam.
    »Was wollten Sie denn im Krieg?« Hector war dem Mysterium immer noch auf der Spur. »Sie sind ’ne Frau. Sie können doch gar nicht kämpfen!« Er fing an zu lachen, als amüsierte ihn die Vorstellung.
    »Bitte, Mr. Farraline, Sir«, sagte McTeer mit fester Stimme.
    »Gehen Sie in Ihr Zimmer, und legen Sie sich ein bißchen hin. Sie können doch nicht den ganzen Nachmittag hier sitzenbleiben. Die Treppe wird gebraucht.«
    Hector schüttelte ungeduldig den Kopf. »Verschwinden Sie, Mann! Sie haben ’ne Visage wie ’n Leichenbestatter – bei Ihrem eigenen Begräbnis könnte sie nicht schlimmer aussehen!«
    »Es tut mir leid, Miss.« McTeer sah Hester entschuldigend an.
    »Er ist ein Ärgernis, aber vollkommen harmlos. Er wird Sie nicht belästigen, außer mit seinem ständigen Geplapper.« Er packte Hector unter den Armen und zog ihn hoch. »Kommen Sie, Sie wollen doch nicht, daß Miss Mary sieht, wie Sie sich hier zum Narren machen, oder?«
    Die Erwähnung von Marys Namen wirkte ernüchternd auf Hector. Er warf noch einen letzten bösen Blick auf das Porträt, dann ließ er sich von McTeer auf beide Füße stellen. Zusammen gingen sie langsam die Treppe hinauf, und Hester folgte ihnen.
    Gegen ihren Willen war Hester eingeschlafen und erwachte erst, als es bereits Zeit war, sich für das vorgezogene Abendessen fertig zu machen und die Tasche zusammen mit ihrem Umhang hinunter in die Halle zu tragen, damit für die Abfahrt zum Bahnhof alles bereit war.
    Das Abendessen wurde im Speisezimmer serviert, aber diesmal war der Tisch für zehn Personen gedeckt, und an seinem oberen Ende hatte Alastair Farraline Platz genommen. Er war ein eindrucksvoller Mann, und Hester erkannte ihn sogleich, denn die Familienähnlichkeit war frappierend. Er hatte das gleiche lange Gesicht mit dem blonden Haar, das über der Stirn bereits schütter wurde, eine große, deutlich gekrümmte Nase und einen breiten Mund; in seiner Knochenstruktur ähnelte es Marys Gesicht weit mehr als dem Konterfei des Mannes in der Halle, und als er sprach, tat er es mit tiefer, voller Stimme – zweifellos sein auffallendstes Merkmal.
    »Guten Abend, Miss Latterly. Bitte, setzen Sie sich.« Er deutete auf den letzten freien Stuhl. »Ich freue mich, daß Sie unserem Angebot gefolgt sind, Mutter nach London zu begleiten. Was ihr Wohlergehen betrifft, ist es uns eine große Beruhigung.«
    »Danke, Mr. Farraline. Ich werde mich bemühen, ihr die Reise so angenehm wie möglich zu machen.« Sie setzte sich und lächelte den anderen zu, die um den Tisch versammelt waren. Mary saß am unteren Ende; links von ihr ein Mann, der auf die Vierzig zuging und sich ebenso stark vom Rest der Familie unterschied wie Deirdra. Sein dichtes, beinahe schwarzes Haar lag glatt am Kopf. Die Augen versteckten sich tief unter dunklen Brauen, die hervorspringende Nase war gerade und kräftig, der Mund verriet Leidenschaft und Willenskraft. Ein außergewöhnliches Gesicht, anders als alle, die Hester jemals gesehen hatte.
    Marys Blick begegnete dem ihren. »Mein Schwiegersohn, Baird McIvor.« Sie lächelte freundlich, als sie ihn vorstellte. Dann wandte sie sich dem jüngeren Mann zu, der links von ihr gegenüber Oonagh saß. Ganz offensichtlich gehörte auch er zur Familie, er hatte einen ähnlichen Teint wie die anderen, auf seinem Gesicht erkannte man dieselbe Unentschlossenheit, diesen Anflug von Launenhaftigkeit und Sensibilität. »Mein Sohn Kenneth«, stellte sie ihn vor. »Und mein anderer Schwiegersohn, Quinlan Fyffe.« Sie blickte hinüber zu der einzigen Person, die Hester noch nicht kannte. Er war ebenfalls blond, aber es war ein helles, silbriges Blond, und das Haar ringelte sich in kurzgeschnittenen Locken. Er hatte ein langes Gesicht, die Nase war absolut gerade und ein wenig zu groß, sein kleiner Mund sah aus wie gemeißelt. Es war das kluge, gewissenhafte Gesicht eines Mannes, der mindestens soviel verbarg wie er mitteilte.
    »Guten Abend«, grüßte Hester förmlich. Beide Herren erwiderten den Gruß, und während der erste Gang serviert wurde,

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