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Dunkler Grund

Dunkler Grund

Titel: Dunkler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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keine Anklage erhoben hat. Ist Ihnen kalt?«
    »Ja, aber das macht nichts.«
    »Wollen Sie meine Jacke?«
    »Nein, dann frieren Sie.«
    Er zog sie aus. »Keine Widerrede«, sagte er streng und wollte sie ihr um die Schultern legen.
    »Legen Sie sie um uns beide.« Sie rückte näher an ihn heran, um es zu ermöglichen.
    »Sie ist nicht groß genug«, klagte er.
    »Es ist gut so…«
    »Mary hatte damit gerechnet, daß Galbraith angeklagt wird? Woher wissen Sie das?«
    »Sie hat etwas von einem Mann namens Archibald Frazer erzählt. An einem späten Abend ist er heimlich zu ihnen ins Haus gekommen. Ich glaube, es hat ihr Sorgen gemacht.«
    »Warum? Wer ist dieser Mann?«
    »Ein Zeuge im Galbraith-Fall.«
    Monk erstarrte. »Ein Zeuge?« Er rückte etwas nach vorne, um im Schein der Lampe ihr Gesicht sehen zu können. »Was hat denn ein Zeuge mitten in der Nacht in Alastairs Haus zu suchen? Und Mary hat sich Sorgen gemacht?«
    »Ja, anscheinend war es ihr nicht recht.«
    »Weil sie wußte, daß der Mann dort nichts zu suchen hatte! Und weil Alastair nicht das Recht hatte, sich privat mit einem Zeugen zu treffen. Und danach hat er den Fall niedergeschlagen und auf eine Anklage verzichtet?«
    Sie sah ihn an. Selbst in dem immer schwächer werdenden Licht sah sie, daß ihm der gleiche Gedanke wie ihr durch den Kopf ging.
    »Bestechung?« flüsterte sie. »Der Prokurator hat Geld oder etwas anderes dafür angenommen, daß er Galbraith nicht anklagt und Mary hat es geahnt!«
    »Einmal?« sagte Monk langsam. »Oder häufiger? Die Frau in der Kirche hat von mehreren Fällen gesprochen, die überraschend nicht zur Anklage gekommen sind. Ist der Herr Prokurator ein mutiger Mann, der den Erwartungen der Öffentlichkeit trotzt und auch mal einen Fall niederschlägt, der auf wackligen Füßen steht, oder ist er ein korrupter Mann, den man mit Geld oder anderen Geschenken schmieren muß, damit er auf eine Anklage verzichtet?«
    »Und sollte er korrupt sein«, fuhr sie fort, und sie flüsterte beinahe, »dann stellt sich gleich die nächste Frage: Hat Mary es gewußt oder bloß befürchtet?«
    Ein paar Minuten saß er schweigend neben ihr, die Beine von sich gestreckt, bedeckt von ihren Röcken, die sie beide warm hielten. Die Lampe brannte nur noch schwach, die Ecken des Raums waren schon in völliger Finsternis versunken. Die Luft wurde dünner und immer abgestandener.
    »Vielleicht war es weder Kenneth noch Baird«, flüsterte sie schließlich. »Und auch nicht Quinlan, wegen der Geldfälschern. Ich glaube eher, sie hat nichts davon gewußt.«
    »Verflucht!« sagte er zwischen den Zähnen. »Der Teufel soll diesen Alastair Farraline holen!«
    Er nahm ihre Hand, die auf ihrem Rock lag. Einen Moment lang saß sie wie erstarrt, aber dann lehnte sie sich ohne nachzudenken an ihn, legte die Stirn an seine Wange und ließ den Kopf langsam hinuntergleiten, bettete ihn auf seiner Schulter. Ihr Zorn war einem friedlicheren Gefühl gewichen. Es war alles noch so wie vorher, ungerecht und ungelöst, aber es hatte nicht mehr dieselbe Bedeutung.
    Die Luft war quälend dünn geworden. Hester hatte nicht die leiseste Ahnung, wie spät es war. Das Tageslicht machte sich hier nicht bemerkbar.
    Vorsichtig schob er sie von sich weg, bis Platz zwischen ihnen war. Im restlichen Licht sah sie sein Gesicht, die markanten Flächen, die großen grauen Augen. In diesem Augenblick gab es keine Verstellung mehr zwischen ihnen, keine latenten Vorbehalte oder Fluchtgedanken, keine Zurückweisungen. Alles war endgültig und abgeschlossen.
    Ganz langsam beugte er sich vor, unendlich langsam, und küßte sie auf den Mund, mit großer Zärtlichkeit, beinahe ehrfürchtig, als sei diese mit letzter Kraft ausgeführte Geste etwas Heiliges, die Eroberung der letzten Bastion.
    Es war nicht lange danach, die Laterne war schließlich erloschen, und sie lagen Seite an Seite, frierend und beinahe schon besinnungslos, so knapp war die Atemluft geworden, als sie plötzlich ein Geräusch hörten, ein Klopfen und Scharren. Dann fiel ein Lichtstrahl in den Raum, gelblich und trüb. Am dankbarsten aber waren sie für den Schwall frischer, süßer, nach Papier riechender Luft.
    »Sind Sie da? Mr. Monk?« Eine zaghafte, ein wenig undeutliche Stimme sprach im singenden Tonfall des Nordens zu ihnen.
    Monk setzte sich langsam auf, sein Kopf schmerzte, sein Blick war verschwommen. Hester lag neben ihm, er hörte sie kaum noch atmen.
    »Mr. Monk?« wiederholte die Stimme.
    »Hector!«

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