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Dunkler Grund

Dunkler Grund

Titel: Dunkler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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bekommen muß.«
    »Und? Haben Sie ihr die Medizin gegeben, Miss?« Er zog die Augenbrauen hoch. »Sind Sie ganz sicher?«
    »Ja, absolut sicher.« Sie stand auf, hob die Arzneischatulle herunter, öffnete sie und zeigte ihm die leeren Phiolen.
    »Da fehlen zwei«, sagte der Stationsvorsteher.
    »Stimmt. Eine hab’ ich ihr gestern abend gegeben, um Viertel vor elf ungefähr, die andere hat sie wohl gestern morgen bekommen.«
    »Aber Sie sind doch erst gestern abend in den Zug gestiegen«, stellte der Schaffner fest, der dem Stationsvorsteher über die Schulter sah. »Geht ja gar nicht anders. Is’ ja erst am Abend losgefahren.«
    »Das weiß ich doch«, antwortete Hester geduldig.
    »Wahrscheinlich hat ein Hausmädchen eins der Fläschchen genommen, die schon für die Reise bereitstanden, und ihr gegeben. Was weiß ich. Aber die zweite Dosis hat sie von mir bekommen, aus diesem Fläschchen.« Sie deutete auf die zweite Phiole in ihrer Mulde. »Gestern abend.«
    »Und wie ging’s ihr da, Miss? Schlecht?«
    »Nein, sie schien bei bester Gesundheit zu sein«, antwortete Hester aufrichtig.
    »Verstehe. Nun, wir sollten hier einen Wachposten aufstellen, damit sie nicht…« Er zögerte. »Damit sie nicht gestört wird. Und Sie kommen mit und helfen, die Tochter der Dame zu finden, das arme Kind.« Der Stationsvorsteher runzelte die Stirn, den Blick immer noch auf Hester gerichtet. »Sind Sie sicher, daß sie nicht gerufen hat während der Nacht? Sie waren doch hier, nehme ich an, die ganze Nacht über?«
    »Was denken Sie?« antwortete Hester steif.
    Er zögerte, mußte erst einmal heftig niesen und sich die Nase putzen, und dann nahm er sie genau in Augenschein, betrachtete ihre kerzengerade, nicht eben üppige Gestalt, versuchte ihr Alter zu schätzen und kam zu dem Schluß, daß sie wohl die Wahrheit sagte.
    »Ich kenne Mr. und Mrs. Murdoch nicht«, sagte Hester leise.
    »Sie müssen sie ausrufen lassen.«
    »Wir werden uns darum kümmern. Sie müssen sich jetzt zusammennehmen, Miss, und mit mir kommen, um diesen armen Leuten beizubringen, daß ihre Mutter gestorben ist.« Er sah sie eindringlich an. »Meinen Sie, daß Sie dazu in der Lage sind, Miss?«
    »Ja… ja, sicher. Sie müssen sich keine Sorgen machen.«
    Sie folgte dem Bahnhofsvorsteher zur Wagentür. Er drehte sich um und half ihr auf den Bahnsteig hinunter. Die Luft war beißend kalt auf der Haut, sie roch nach Qualm und Ruß und Schmutz. Ein eisiger Wind pfiff über den Bahnsteig, trotz des Dachs über der Halle; der Lärm von Karren, Stiefelabsätzen, knallenden Wagentüren und Stimmen hallte von dem riesigen Gewölbe wider. Sie drängelten sich durch die spärlicher werdende Menge bis zu der kleinen Treppe, die zum Büro des Stationsvorstehers führte.
    »Sind sie… dort oben?« fragte sie und hatte plötzlich einen Kloß im Hals.
    »Ja, Miss. War’n nicht schwer zu finden. Junge Dame und ein Herr, die auf den Zug warteten. Wir mußten sie nur fragen.«
    »Hat es ihnen schon jemand gesagt?«
    »Nein, Miss. Hab’ mir gedacht, sie sollten’s von Ihnen erfahren, wo Sie doch die Familie kennen.«
    »Ach je.«
    Der Bahnhofsvorsteher öffnete die Tür und trat auf die Seite. Ohne zu zögern trat Hester ein.
    Zuerst sah sie eine junge Frau mit rötlichbraunem Haar, das sanft gewellt war, wie das von Eilish, aber wesentlich stumpfer, erdfarben, nicht herbstlich leuchtend. Sie hatte ein ovales Gesicht mit regelmäßigen Zügen, doch fehlte ihr die Schönheit und die Leidenschaft ihrer Schwester. Verglichen mit manch anderer Frau mochte sie ganz hübsch sein, auf eine stille, züchtige Weise, aber Hester, die Eilish kennengelernt hatte, konnte in ihr nur einen Schatten sehen, ein schwaches Spiegelbild. Später einmal, wenn sie nicht mehr von Ängsten gequält würde und wieder mehr Lebensmut und Selbstvertrauen hätte, dann würde vielleicht eine Frau wie Oonagh aus ihr.
    Es war der Mann an ihrer Seite, der das Wort ergriff. Er war zwanzig bis dreißig Zentimeter größer als sie, hatte ein kantiges Gesicht mit tiefliegenden Augen; seine Art, die Lippen zu schürzen, zog die Aufmerksamkeit auf seinen wohlgeformten Mund.
    »Sie sind die Krankenschwester, die als Reisebegleiterin für Mrs. Farraline eingestellt wurde?« wollte er wissen. »Gut. Dann sagen Sie uns, was das alles zu bedeuten hat. Wo ist Mrs. Farraline? Warum läßt man uns hier warten?«
    Mit einem kurzen Blick bestätigte ihm Hester, daß sie seine Worte vernommen hatte, dann wandte sie sich

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