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Dunkler Grund

Dunkler Grund

Titel: Dunkler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Sprache zu ihr gesprochen. »Was?«
    »Du mußt dich nicht sorgen. Ich werde mich um alles kümmern. Ich schreibe noch heute vormittag einen ausführlichen Brief, in dem alles steht, was wir wissen. Wenn ich ihn heute auf die Post bringe, geht er noch mit dem Nachtzug raus und ist morgen früh in Edinburgh. Ich werde ihnen schreiben, daß sie ganz still gestorben ist und fast nichts gespürt hat.« Er schüttelte leicht den Kopf. »Was für ein schrecklicher Tag für dich, mein Liebling. Ich bring’ dich nach Hause, damit Mama sich um dich kümmern kann.« In seinen Worten schwang Erleichterung mit, weil er einen guten Weg gefunden hatte, sich aus einer Situation zu befreien, die ihn überforderte. »Wir müssen jetzt an deine… Gesundheit denken, mein Liebling. Du mußt dich hinlegen. Und hier kannst du wirklich nichts tun.«
    »Er hat recht, Ma’am«, fügte der Bahnhofsvorsteher schnell hinzu. »Gehen Sie mit Ihrem Mann. Ist das beste für Sie, Ma’am.«
    Griselda zögerte, warf Hester noch einen ängstlichen Blick zu und ergab sich dann einer höheren Macht.
    Hester war erleichtert, daß sie ging, und gleichzeitig dachte sie traurig daran, wie Mary ihr von Griseldas unbegründeter Sorge erzählt hatte. Ihr war, als könnte sie Marys Stimme hören und die Zuversicht, die daraus gesprochen hatte. Vielleicht hätte sie bessere Worte finden müssen, um Griselda zu trösten.
    Griselda schien mehr mit der Angst um das Baby beschäftigt zu sein als mit der Trauer um ihre Mutter. Möglicherweise war sie das erträglichere der beiden Gefühle. Wo andere Menschen sich in den Zorn zurückzogen – Hester hatte es oft genug erlebt –, suchte Griselda Zuflucht in ihrer Angst. Schwangerschaft, vor allem mit dem ersten Kind, konnte die seltsamsten Turbulenzen in einer Seele auslösen, Gefühle, die normalerweise nicht so weit an die Oberfläche kamen.
    Aber jetzt war Griselda fort. Hester konnte ihr nichts mehr sagen. Vielleicht würde Murdoch noch die richtigen Worte finden oder das Richtige tun.
    Man befragte sie noch fast eine Stunde lang, und sie gab immer wieder dieselben nutzlosen Antworten, bevor man ihr erlaubte, den Bahnhof zu verlassen. Den verschiedensten Behörden hatte sie Auskunft über die Instruktionen erteilen müssen, die sie in Edinburgh bekommen hatte; sie mußte darüber berichten, was Mary am Abend für einen Eindruck auf sie gemacht hatte, daß sie nicht über das geringste Unwohlsein geklagt hatte, im Gegenteil, sie war sogar in äußerst angeregter Stimmung gewesen. Nein, Hester hatte in dieser Nacht nichts Außergewöhnliches gehört: Ohnehin waren die meisten Geräusche im Rattern der Räder untergegangen. Ja, selbstverständlich hatte sie Mrs. Farraline ihre Arznei verabreicht, eine Phiole, wie vorgeschrieben.
    Hester war ganz benommen, als man sie endlich gehen ließ. Sie ging hinaus auf die Straße, nahm sich einen Wagen und nannte dem Kutscher Callandra Daviots Adresse. Sie verschwendete keinen Gedanken an die Frage, ob es besonders höflich war, mitten am Vormittag, unangekündigt und in diesem desolaten Zustand bei ihr hereinzuplatzen. Ihr Bedürfnis nach Wärme und Geborgenheit, nach einer vertrauten Stimme war so übermächtig, daß es Überlegungen zu schicklichem Benehmen gar nicht erst aufkommen ließ. Callandra legte zwar keinen großen Wert auf derlei Dinge, aber Exzentrik war nicht das gleiche wie ein Mangel an Rücksichtnahme.
    Es war ein grauer Tag, der Wind trieb Regenschauer vor sich her, aber sie nahm ihre Umgebung gar nicht richtig wahr. Schmutzige Straßen mit ruß geschwärzten Hauswänden gingen über in liebenswerte Plätze mit buntbelaubten Bäumen, aber das alles drang nicht in ihr Bewußtsein.
    »Da wär’n wir, Miss«, sagte der Kutscher schließlich und spähte durch das Guckloch auf sie herunter.
    »Was ist?« fragte sie abwesend.
    »Wir sind da, Miss. Sie müssen aussteig’n, schließlich könnense ja nich ewig da sitzenbleib’n. Wenn ich um das Fahrgeld bitten dürfte. Muß schließlich auch von was leben.«
    »Nein, hier will ich bestimmt nicht sitzenbleiben!« sagte sie verärgert, stieß mit einer Hand den Wagenschlag auf und griff mit der anderen nach ihrer Tasche. Unbeholfen kletterte sie aus der Kutsche, stellte die Tasche auf dem Gehsteig ab, bezahlte den Kutscher und wünschte ihm einen guten Tag. Während das Pferd sich in Bewegung setzte und der Regen, der riesige Pfützen auf dem unebenen Trottoir hinterließ, wieder heftiger wurde, nahm sie ihre

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