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Dunkler Grund

Dunkler Grund

Titel: Dunkler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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im Haus, ganz in Grün und Weiß gehalten, mit weißen Türen und Fensterlaibungen, die das Auge zum Licht führten. Die Möbel waren aus dunklem Rosenholz, mit cremefarbenem Brokat bezogen, und auf dem Tisch stand eine große Vase mit weißen Chrysanthemen. Sie legte die Hände um den Becher mit heißer Schokolade und trank dankbar ein paar Schlucke. Es war lächerlich, so zu frieren; draußen war noch lange nicht Winter, und der Frost war noch fern.
    »Der Schock«, sagte Callandra voller Mitgefühl. »Trinken Sie. Es wird Ihnen guttun.«
    Hester nahm noch einen Schluck und spürte die heiße Flüssigkeit durch ihre Kehle rinnen.
    »Gestern abend ging es ihr noch so gut«, sagte sie bewegt.
    »Wir haben dagesessen und uns über alles mögliche unterhalten. Sie hätte gar nicht aufgehört zu reden, aber ihre Tochter hatte mir aufgetragen, dafür zu sorgen, daß sie spätestens um Viertel nach elf im Bett liegt.«
    »Sie hatte großes Glück, daß es ihr bis zum letzten Augenblick ihres Lebens so gutging«, sagte Callandra und blickte über den Rand ihres Bechers. »Die meisten Menschen sind wochenlang krank, bevor sie sterben. Sicher, es ist zuerst immer ein schrecklicher Schock, aber nach einer Weile wird es wie ein Segen erscheinen.«
    »Das denke ich auch«, sagte Hester langsam. Im Kopf wußte sie, daß Callandra vollkommen recht hatte, aber tief in der Seele fühlte sie nur Schuld und Trauer. »Ich hab’ sie sehr gern gemocht«, sagte sie laut.
    »Dann sollten Sie froh sein, daß sie nicht gelitten hat.«
    »Ich komme mir so… überflüssig vor, so lieblos!« widersprach Hester. »Ich habe ihr überhaupt nicht helfen können. Nicht mal aufgewacht bin ich! Keine Hilfe, kein Trost, da hätte ich auch gleich zu Hause bleiben können.«
    »Wenn sie im Schlaf gestorben ist, mein liebes Kind, wie hätten Sie ihr da helfen wollen?« stellte Callandra klar.
    »Wahrscheinlich haben Sie recht…«
    »Ich nehme an, Sie mußten es jemandem mitteilen. Familie?«
    »Ja. Ihre Tochter und ihr Schwiegersohn waren am Bahnhof. Ihre Tochter hat es sehr schwergenommen.«
    »Natürlich. Und manchmal macht so ein plötzlicher Schmerz die Menschen zornig und ungerecht. War sie sehr unangenehm?«
    »Nein… nein, gar nicht. Sie war wirklich sehr anständig.« Hester lächelte bitter. »Sie hat mir überhaupt keine Schuld gegeben, dabei hätte sie doch allen Grund gehabt. Sie war so verzweifelt, daß sie nicht mehr erfahren hat, was ihre Mutter ihr sagen wollte. Das arme Ding ist schwanger, und es ist ihr erstes Kind. Sie macht sich Sorgen um ihre Gesundheit, und Mrs. Farraline war gekommen, um sie zu beruhigen. Sie war außer sich darüber, daß sie nicht mehr erfahren wird, was Mrs. Farraline ihr mitteilen wollte.«
    »Ein großes Unglück für alle Beteiligten«, sagte Callandra mitfühlend. »Aber niemand kann etwas dafür, allenfalls Mrs. Farraline selber. Sie hätte in ihrem Zustand nicht auf eine solche Reise gehen dürfen. Ein langer Brief wäre wohl besser gewesen. Aber hinterher ist man immer klüger.«
    »Ich kann mich nicht erinnern, jemals eine Patientin so spontan ins Herz geschlossen zu haben«, sagte Hester und mußte schlucken. »Sie war sehr direkt in ihrer Art, sehr offen. Sie hat mir von der Nacht vor der Schlacht bei Waterloo erzählt, wie sie die ganze Nacht durchgetanzt haben. Nichts als Fröhlichkeit, Gelächter und Schönheit, eine wilde, ausgelassene Verzweiflung, und jeder wußte, was der nächste Tag bringen würde.« Einen Augenblick lang erschienen ihr das schummerige Licht des Eisenbahnabteils und Marys waches, intelligentes Gesicht wirklicher als die Gegenwart vor dem Kaminfeuer im grünen Zimmer.
    Sie trank ihre Schokolade aus, behielt den leeren Becher aber in der Hand. »In der Halle hing ein Porträt ihres Mannes. Er hatte ein bemerkenswertes Gesicht, sehr ausdrucksvoll, voller unterdrückter Gefühle. Wissen Sie, was ich meine?« Sie sah Callandra fragend an. »So leidenschaftlich der Mund war, so unsicher blickten die Augen, als wollten sie nicht verraten, was er wirklich dachte.«
    »Ein vielschichtiger Mann«, sagte Callandra. »Und ein begabter Künstler, der das alles in einem Gesicht einzufangen wußte.«
    »Ihr Mann hat das Familienunternehmen gegründet, eine Buchdruckerei.«
    »Ach, tatsächlich?«
    »Er ist vor acht Jahren gestorben.«
    Hester erzählte noch eine halbe Stunde lang von den Farralines und von dem wenigen, das sie von Edinburgh zu sehen bekommen hatte; Callandra hörte ihr

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