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Dunkler Grund

Dunkler Grund

Titel: Dunkler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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einem Pferdegespann Durchlaß gewährt hätte, wenn sie offen gewesen wäre.
    Er tastete sich Schritt für Schritt vorwärts, um nicht gegen etwas zu stoßen und auf sich aufmerksam zu machen. Er hatte ja keine Ahnung, wo er war, was oder wer ihn hinter dieser Tür erwarten mochte.
    Leise schlich er sich heran und sah durch einen breiten Spalt. Der Anblick, der sich ihm bot, war so atemberaubend, so phantastisch und aberwitzig, daß es eine ganze Weile dauerte, bis sein Gehirn ihn als Realität akzeptierte. Es war ein riesiger Schuppen, groß genug, um ein Schiff darin zu bauen, aber das Gebilde, das sich in seiner Mitte vom Boden erhob, würde mit Sicherheit niemals zu Wasser gelassen werden. Es hatte weder einen Kiel, noch bot es Platz für Masten. Am ehesten noch glich es einem laufenden Huhn, nur hatte es keine Beine. In seinem Rumpf hätte ein ausgewachsener Mann Platz gefunden, und zu beiden Seiten streckte es Flügel aus, als wäre es tatsächlich seine Absicht, sich in die Luft zu schwingen und zu fliegen. Das seltsame Gerät schien hauptsächlich aus Holz und Segelstoff konstruiert zu sein. Dort, wo bei einem richtigen Vogel das Herz gewesen wäre, befand sich eine Art Mechanismus.
    Noch unglaublicher jedoch – falls das überhaupt möglich war – war der Anblick, den Deirdra Farraline bot, in alten Kleidern, mit einer Lederschürze über dem Rock, dicken Lederhandschuhen an ihren kleinen, kräftigen Händen, das Haar aus der Stirn gekämmt. Sie stand nach vorne gebeugt, machte sich mit ernstem Gesicht an dem seltsamen Vehikel zu schaffen, zog mit zärtlichem, eifrigem Sachverstand Schrauben daran fest.
    Der Mann, der sie abgeholt hatte, wuchtete gerade ein weiteres Teilstück heran, das offensichtlich am Schwanzende des Vogels befestigt werden sollte, wodurch die gesamte Konstruktion sich um etwa zweieinhalb Meter verlängern würde.
    Monk hatte nicht viel zu verlieren. Er schob die Tür so weit auf, daß er sich hindurchzwängen konnte. Die beiden waren so vertieft in ihre Arbeit, daß sie ihn zunächst nicht bemerkten. Deirdra arbeitete mit gesenktem Kopf, die Zunge zwischen den Zähnen und die Augenbrauen nachdenklich zusammengezogen. Ihre Hände bewegten sich flink und sehr sicher. Sie wußte genau, was sie tat, welches Werkzeug sie benötigte und wie sie es zu gebrauchen hatte. Der Mann war geduldig; auch er verstand sein Handwerk, schien jedoch unter ihrer Anleitung zu arbeiten.
    Es vergingen volle fünf Minuten, bis Deirdra zum erstenmal den Kopf hob und Monk in der Tür stehen sah. Sie erstarrte.
    »Guten Abend, Mrs. Farraline«, sagte er leise und trat vor.
    »Ich bitte um Verzeihung für meine mangelnden technischen Kenntnisse, aber was ist das?« Seine Stimme klang so normal, so frei von jeder Kritik, jedem Mißtrauen, als unterhielte er sich mit ihr bei einem gesellschaftlichen Anlaß über das Wetter.
    Sie starrte ihn an; ihre dunklen Augen suchten in seinem Gesicht nach Anzeichen von Spott, Zorn, Verachtung oder ähnlichen Gefühlen – konnten jedoch nichts davon entdecken.
    »Eine Flugmaschine«, sagte sie schließlich.
    Die Antwort an sich klang so grotesk, daß jeder Versuch einer weiteren Erklärung müßig erscheinen mußte. Ihr Kollege hielt einen Schraubenschlüssel in der Hand; er schien sich noch nicht schlüssig zu sein, ob sie seinen Beistand brauchte oder ob er sich lieber heraushalten sollte. Er war sichtlich verlegen, aber Monk vermutete, daß er sich um ihren Ruf sorgte, nicht um seinen, und ganz sicher nicht um das Projekt.
    Alle möglichen Fragen schossen Monk durch den Kopf, aber keine davon war wirklich wichtig.
    »Sicher eine teure Angelegenheit«, sagte er laut.
    Sie erschrak. Ihre Augen weiteten sich. Sie war darauf gefaßt gewesen, gegen die Unmöglichkeit des Fliegens plädieren zu müssen, für die Notwendigkeit des Versuchs und die frühen Ideen und Entwürfe eines Leonardo da Vinci oder Roger Bacon, aber daß er über die Kosten reden würde, hätte sie am allerwenigsten erwartet.
    »Ja«, sagte sie schließlich. »Ja, natürlich ist es teuer.«
    »Teurer als ein paar elegante Kleider«, fuhr er fort. Sie verstand seinen Gedankengang und errötete.
    »Es ist alles mein Geld!« protestierte sie. »Ich habe gespart, ich habe mir Kleider aus zweiter Hand gekauft und umarbeiten lassen. Nie habe ich etwas von der Familie genommen! Keinen Penny! Ich schwöre es! Und Mary wußte es«, fügte sie schnell hinzu. »Ich kann’s nicht beweisen, aber sie wußte es. Es hat sie

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