Dunkler Grund
die Tür. Beinahe sofort wurde sie aufgerissen, mit einer Ungeduld, die sich erklärte, als Hector bei seinem Anblick ein langes Gesicht machte. Er hatte einen anderen erwartet, wahrscheinlich McTeer mit einer kleinen Erfrischung. Monk war aufgefallen, daß Hector seine flüssige Nahrung nicht verwehrt wurde und niemand in der Familie ernsthafte Anstrengungen machte, ihn nüchtern zu halten.
»Aha, der Herr Detektiv«, begrüßte ihn Hector abschätzig.
»Herausgefunden haben Sie nicht die kleinste Kleinigkeit, seit Sie hier herumschnüffeln! Da wirft irgendein armer Idiot sein Geld zum Fenster hinaus.«
Monk ging hinein und zog die Tür hinter sich zu. Er ignorierte die spitzen Bemerkungen, denn er wollte unbedingt etwas von Hector Farraline erfahren.
»Ich bin gekommen, um nach Beweisen zu suchen, die Hester Latterly möglicherweise entlasten könnten«, sagte er und blickte den alten Mann offen an. Er machte wirklich einen kranken Eindruck, mit bleichem Gesicht, rotgeränderten Augen und schwerfälligen Bewegungen.
»Warum hat sie Mary getötet?« fragte Hector weinerlich und ließ sich in den großen Ledersessel neben dem Fenster fallen. Monk bot er keinen Platz an. Es war ein richtiges Männerzimmer; in einem Eichenregal an der Wand standen Dutzende von Büchern, zu weit entfernt für Monk, um die Titel lesen zu können. Ein feines Aquarell von einem napoleonischen Husaren hing über dem Kamin, und an der Wand gegenüber das Konterfei eines Soldaten der Royal Scots Greys. Darunter hing das Porträt eines Offiziers in der Uniform der Highlander, ein junger Mann, stattlich, mit feinen Gesichtszügen, dichtem, blondem Haar und großen, gleichmütigen Augen. Monk brauchte einige Augenblicke, um zu erkennen, daß es Hector Farraline selber war, vor dreißig Jahren etwa. Was, in aller Welt, mochte dieser Mann in der Zwischenzeit durchgemacht haben, was hatte ihn zu diesem mitleiderregenden Wrack gemacht? Das konnte nicht bloß ein älterer Bruder mit mehr Charakter, mehr Intelligenz und mehr Mut gewesen sein. Waren Neid und Mißerfolg tatsächlich so zerstörerisch?
»Warum hat diese Frau für ein paar Perlen soviel riskiert?« fragte Hector, und dabei klang seine Stimme verärgert. »Das ist doch unsinnig, Mann! Die hängen sie auf… da gibt’s keine Gnade, wissen Sie?«
»Ja«, sagte Monk sehr leise und mit trockener Kehle. »Ich weiß. Sie haben neulich etwas von gefälschten Geschäftsbüchern gesagt…«
»O ja. Und ob die gefälscht sind«, sagte Hector, ohne zu zögern und mit fast ausdruckslosem Gesicht.
»Von wem?«
Hector kniff die Augen zusammen. »Von wem?« wiederholte er, als wäre das eine höchst sonderbare Frage. »Keine Ahnung. Vielleicht von Kenneth. Er ist der Buchhalter – aber er wäre ein Idiot, wenn er’s täte. Viel zu auffällig. Andrerseits… er ist ein Idiot.«
»Ist er das?«
Hector sah ihn an und schien zu begreifen, daß es eine Frage war, keine beiläufige Bemerkung.
»Aus keinem bestimmten Grund«, sagte er langsam. »Nur ein allgemeiner Eindruck.«
Monk wußte, daß er log, und ebenso gewiß wußte er, daß Hector nicht die Absicht hatte zu präzisieren, womit sich Kenneth seine Verachtung zugezogen hatte.
»Woher wissen Sie es?« fragte er den Alten und nahm ihm gegenüber in einem kleineren, nicht besonders bequemen Sessel Platz.
»Was?« Hector war Herr seiner Sinne. »Ich lebe im selben Haus mit ihm, zum Teufel! Seit vielen Jahren. Was wollen Sie eigentlich von mir, Mann?«
Monk mußte sich über seine eigene Contenance wundern.
»Ich weiß jetzt, daß Sie ihn für einen Idioten halten«, sagte er ruhig. »Ich weiß aber nicht, woher Sie wissen, daß sich jemand an den Büchern zu schaffen gemacht hat.«
»Oh, ich verstehe.«
»Also, woher wissen Sie es?«
Hector sah aus dem Fenster. »Mary hat mal so was gesagt. Kann mich nicht mehr genau erinnern, was. Sie war verärgert darüber. Sehr.«
Monk lehnte sich vor. »Hat sie gesagt, daß es Kenneth war? Denken Sie nach, Mann!«
»Nein, hat sie nicht«, erwiderte Hector und zog die Stirn in Falten. »Sie war nur verärgert.«
»Aber die Polizei hat sie nicht gerufen?«
»Nein.« Er riß die Augen auf und sah Monk zufrieden an.
»Deshalb hab’ ich ja gedacht, es war Kenneth.« Er zuckte die Achseln. »Aber Quinlan ist’n gerissener Hund. Dem würd’ ich auch alles mögliche zutrauen. Emporkömmling. Besteht nur aus Grips und Ehrgeiz und ist machtgierig. Und alles macht er hintenherum. Hab’ nie
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