Durst: Thriller (German Edition)
eingetreten. Bis zur Mittelschule war ich da. Die Oberschule habe ich dann in São Paulo besucht, im Rahmen eines anderen Programms, das von Kirche und Staat gemeinsam finanziert wurde. Und dann habe ich studiert. «
» Das ist mir alles bekannt. «
» Ich habe immer gern gelernt. «
» Kann ich gut verstehen. Ich lerne auch gern. «
Sarah Clarice konnte das Gefühl nicht loswerden, dass er ihr irgendetwas verschwieg. Dieses Mal würde sie ihn allerdings nicht davonkommen lassen.
» Bist du denn nie zu deiner Familie zurückgekehrt? «
» Nein. Sie haben versucht, mich zurückzuholen. Mein Vater ist sogar nach São Paulo gekommen, aber ich wollte ihn nicht sehen. «
Sarah Clarice schwieg.
» Er hatte mich rufen lassen. Die Schule befand sich in einem ehemaligen Konvent im Zentrum von São Paulo mit verschiedenen Bogenumgängen. Ich sah ihn von den Arkaden im zweiten Stock aus. Mein Vater stand da und drückte mit beiden Händen den Hut an die Brust, so unwohl schien er sich zu fühlen. Mir war einfach nicht danach, zu ihm zu gehen. Ich fühlte mich wohl dort, konnte lernen, hatte mittlerweile mein eigenes Leben, eine Menge Freunde. Das wollte ich nicht verlieren. Also bin ich einfach wieder reingegangen. «
» Und wieso hast du auch Nelson nie gesehen? «
» Ich war nicht bei der Beerdigung meines Vaters. Wir haben uns gestritten. «
Sarah Clarice zögerte kurz. » Weil du nicht bei der Beerdigung warst? «
Matheus lächelte schief. Ihre Aufdringlichkeit schien ihm nicht sonderlich zu behagen. » Eigentlich weiß ich es nicht. Sie haben mir im letzten Moment Bescheid gegeben, und ich dachte, dass ich es sowieso nicht mehr schaffe. Vielleicht hatte ich aber auch einfach nur Angst, meine Familie wiederzusehen, nachdem ich sie so vor den Kopf gestoßen hatte. «
Sarah Clarice wollte etwas sagen, verkniff es sich aber.
Matheus trank einen Schluck Wein und bestellte dann noch ein Glas. » Ich möchte dich aber nicht mit dieser Geschichte nerven. Schluss jetzt. «
Sarah Clarice fügte sich. » Gut, die Pizza, oder? «
» Ja, nicht schlecht. «
Als sie wieder im Zimmer waren, erregte etwas Matheus’ Aufmerksamkeit: Das Licht brannte.
» Haben wir das Licht nicht ausgemacht? «
» Ich kann mich nicht erinnern. Vielleicht nicht. «
Matheus war müde. Seine Beine schmerzten, aber da war noch die Sache mit dem einen Bett. Er trödelte herum, bevor er beschloss, sich im Bad auszuziehen. Sarah Clarice hatte noch eine Dusche genommen, war in einem langen weißen T-Shirt mit V-Ausschnitt ins Zimmer zurückgekommen und sofort unter die Bettdecke geschlüpft.
» Was ist, Matheus? Schläfst du im Stehen wie ein Pferd? «
» Ich könnte es ja mal versuchen. « Schnell ging er ins Bad, wo er ebenfalls eine Dusche nahm. In T-Shirt und Boxershorts legte er sich dann an den äußersten, obersten Rand des Bettes, das Kopfkissen im Rücken.
» Sollen wir einen Stuhl neben das Bett stellen? « , fragte Sarah Clarice. » Wenn du herausfällst, brichst du dir wenigstens nicht das Genick. «
Sie schaltete ihre Nachttischlampe aus und drehte sich auf die Seite. Matheus roch den Geruch ihrer Seife. Unvermittelt drehte sie sich wieder zu ihm hin und hob den Kopf. » Warum hast du vorhin gesagt: › Nichts ist, wie es ausschaut ‹ ? «
» Wann? «
» Als ich dich gefragt habe, was in dem Tagebuch steht. «
Matheus hatte seine Arme auf Bauchhöhe verschränkt und schaute vom Kopfende zu Sarah Clarice auf. Ihre Augen waren von einem intensiven, herben Grün. Und ihr Haaransatz war wunderschön, das musste er zugeben. Dann diese Nackenlinie…
Er seufzte. » Weil ich glaube, dass hinter den schlichten Beschreibungen noch etwas anderes steckt. «
» Was? «
» Das weiß ich nicht so genau. Und dann steht da noch ein Satz am Ende. «
» Was für ein Satz? «
» Warte. « Matheus stand auf und holte das Tagebuch. Dann setzte er sich aufs Bett und blätterte zu einer der letzten Seiten vor.
» Hier, lies. « Matheus gab Sarah Clarice das Tagebuch. Die hatte sich aufgerichtet und saß nun neben ihm. Sie hielt sich das Buch dicht vor die Augen.
Ich brauche einen Zeugen.
Ich glaube an den Zufall.
Irgendjemand wird kommen.
Wer Geheimnisse hat, kennt kein Erbarmen.
» Einen Zeugen? Was soll das heißen? «
» Ich habe keinen blassen Schimmer. Jetzt sollten wir aber schlafen. « Er nahm ihr das Tagebuch aus der Hand und legte es auf den Nachttisch.
» Okay, Nacht. « Sarah Clarice drehte sich wieder auf die Seite,
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