Durst: Thriller (German Edition)
schloss aber die Augen nicht. Sie musste über diese Worte nachgrübeln: Ich brauche einen Zeugen … Wer Geheimnisse hat, kennt kein Erbarmen … Was hatte das alles zu bedeuten?
Matheus hatte seine Position am Kopfende des Bettes wieder eingenommen. Er lauschte auf die Geräusche der Stadt. Sandras Stimme hallte in ihm wider: Die Polizei wollte wissen, ob aus Nelsons Arbeitszimmer irgendetwas entfernt wurde. Ob du zufällig irgendetwas entfernt hast.
20
» Habt ihr schon Kaffee getrunken? Vermutlich schon. Aber ihr kennt nicht den von Jujú. Setzt euch doch. «
Ernesto Baduel zeigte auf das Sofa vor sich. Das Wohnzimmer war riesig und von schlichter Eleganz. Der Boden bestand, wie bei jeder anständigen Fazenda, aus langen Jacarandaholzdielen. Die gewaltigen Fenster gaben den Blick auf die Vegetation frei, die an diesem Tag von einem fast violetten Lila war. Kahle Wände. Holzsofas mit sichtlich durchgesessenen geblümten Polstern. Die langen, hölzernen Ventilatorblätter an der hohen Decke standen still. Es war auch nicht besonders heiß.
» Juliana? « , rief er laut. » Entschuldigt bitte wegen gestern Abend. Ich hatte einen Gichtanfall und war kaltgestellt. In solchen Fällen geht man mir besser aus dem Weg. « Baduel lachte als Einziger. Sarah Clarice schaute sich um, während Matheus den alten Physiker betrachtete, der weder schlank noch groß war. Baduels Gesicht war sonnenverbrannt. Seine strohigen weißen Haare hatte er nach hinten gekämmt, und um die grauen Augen herum hatten sich tiefe Falten eingegraben.
Dann kam Juliana, eine Mulattin um die fünfundzwanzig, die so schön war, dass Matheus sie mit offenem Mund anstaunte.
» Jujú, mach doch noch einen Kaffee und bring ein paar Papayahälften. Ist das okay für euch? «
Matheus nickte.
» Großartig « , sagte Sarah Clarice.
Jujú lächelte kaum merklich und verschwand in der Küche, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen.
» Also « , begann Baduel. » Welchem Umstand verdanke ich euren Besuch? « , ließ ihnen aber keine Zeit zu antworten. Stattdessen musterte er Matheus und fragte: » Woher bist du? «
» Ich komme aus Bahia, aus Barra. «
» Ah, aus Barra. « Er neigte leicht den Kopf. » Und du? « , wandte er sich an Sarah Clarice.
» Aus Bristol « , antwortete sie ernst.
» Ah, in Brasilien haben wir wirklich die unglaublichsten Städte. «
Sie lachten, aber dann wurde der Alte sofort wieder ernst. » Ist deine Mutter aus Bristol oder dein Vater? «
» Mein Vater. Meine Mutter ist in Sergipe geboren. «
Baduel schlug die stämmigen Beine übereinander.
» Eine Sergipana also. Von woher genau? «
» Aus der Hauptstadt. Aus Aracaju. «
» Einige der schönsten Frauen der Welt kommen aus Aracaju, wusstest du das? «
» Ja « , sagte Sarah Clarice. » Ich meine, davon gehört zu haben. «
Wieder kicherten sie. Matheus spürte allerdings eine gewisse Nervosität in sich aufsteigen.
Baduel schwieg und ließ den Blick auf Sarah Clarice ruhen. » Es gab sogar einen amerikanischen Wissenschaftler, der Brasilianerinnen wie dich › weiße Mulattinnen ‹ nannte, wusstest du das? Normalerweise erzählen die Amerikaner einen Haufen Unsinn, vor allem über andere Kulturen, aber diesem Urteil kann ich nur beipflichten. «
» Das wusste ich nicht « , bekannte Sarah Clarice.
» Tja. So etwas kann man nur bei uns finden. Auch wenn es nicht immer gebührend gewürdigt wird. «
» Tatsächlich? «
» Ja « , bestätigte Baduel und beugte sich vor. » Vor vielen Jahren hatten wir mal eine Schauspielerin namens Martha Rocha, die dann die erste Miss Brasilien wurde. Der Titel einer Miss Universum blieb ihr allerdings verwehrt, weil die Amerikaner befanden, ihre Hüften seien um zwei Daumenbreiten zu dick. «
» Aha. «
» Und wisst ihr auch, was Jorge Amado über die zwei überschüssigen Daumenbreiten schrieb? «
» Nein. «
» Er schrieb, das seien die zwei unsterblichen Daumenbreiten, die sich der Mischung von schwarzem mit deutschem Blut verdankten. «
Baduel keuchte vor Lachen. Seine Zuhörer lächelten dezent.
Jetzt kam Juliana, die Haushälterin, mit dem Kaffee und den Papayas wieder. Baduel folgte ihr mit dem Blick, während sie servierte. » Wenn es etwas gibt, das die Brasilianer auszeichnet « , erklärte er und verrenkte sich fast den Hals, » dann ist es die Mischung. Das Mestizentum. «
Jujú verschwand wieder.
» Ihr habt auch indigenes Blut in der Familie, oder? « , fragte er Matheus.
» Ja, über meine
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