Durst: Thriller (German Edition)
Handvoll Erdnüsse aus der Tüte genommen.
» Ich habe dich noch nie hier an der Bushaltestelle gesehen. «
» Ich wollte jemanden in der Gegend besuchen. «
Floriana nickte. Sie glaubte ihm kein Wort. Kein Gringo fuhr ausgerechnet von der Haltestelle Catumbi nach Santa Teresa. Nun kamen zwei andere Frauen, ebenfalls mit Kindern. Eines der Kinder, das kaum noch Zähne im Mund hatte, verkündete, dass gleich ein Bus abfahre. Das bläuliche Neonlicht im VW -Bus beleuchtete die Köpfe müder Menschen hinter den Scheiben. Gabriel schoss den beiden anderen Kindern den Ball zu, die ihn aus der Luft annahmen, während Floriana nun an Carlo herantrat.
» Du hast mir neulich gar nicht erzählt, dass Nelson tot ist. Aber du wusstest es, oder? «
Carlo knüllte das Papier von den Erdnüssen zusammen und erhob sich von der Betonbank. » Na ja, ich dachte, eine so persönliche Sache müsstest du auf einem anderen Weg erfahren. Keine Ahnung, warum ich es dir nicht gesagt habe. Es tut mir leid. Können wir noch über ein paar Dinge sprechen? «
Sie schaute sich um. Gabriel spielte mit seinen kleinen Freunden. Der VW -Bus war abgefahren, und die anderen Busse standen noch am schmutzigen Bürgersteig.
» Du warst nicht ehrlich, wie soll ich dir da vertrauen? Und worüber möchtest du denn noch sprechen? «
Floriana war nicht wirklich schön, aber irgendetwas an ihr war sehr anziehend. Vielleicht der feste Körper. Die Lippen, die von einer bläulichen Linie umrandet waren.
» Ich war nicht ehrlich, das stimmt. Aber ich glaube, dass du mir auch nicht alles gesagt hast. Ein paar Dinge begreife ich einfach nicht. Nelson hat mir erzählt, dass dein Ehemann Ulisses nach dem Überfall auf das Lager geflohen ist. Er hat sich versteckt. Warum? «
» Das hab ich dir doch erzählt. Er hat gesehen, wer seinen Vater umgebracht hat, meinen Schwiegervater. Ich weiß aber nicht, ob er sich versteckt hat oder geflohen ist. Und jetzt hat er vermutlich sowieso ein anderes Leben. «
Carlo kratzte sich an der Wange. » Aber entschuldige mal bitte, Floriana. Wenn er wirklich gesehen hat, wer seinen Vater umgebracht hat, warum hat er ihn denn dann nicht angezeigt, statt sich zu verstecken? «
Die Frau war angespannt, genau wie beim Interview. Carlo stand dicht neben ihr und roch den Duft von Apfelshampoo. Er war beharrlich. » Das verstehe ich einfach nicht, Floriana. Irgendetwas stimmt da nicht. Bist du sicher, dass du mir die Wahrheit sagst? «
» Natürlich « , antwortete sie zornig. » Wer bist du überhaupt? Was willst du? «
» Floriana « , sagte Carlo und senkte die Stimme. Er bemühte sich um Einfühlungsvermögen. » Es bringt nichts, die Wahrheit zu verbergen. Nelson ist tot. Vielleicht ist er genau deshalb gestorben. «
» Was redest du denn da? « Sie drehte sich um und hielt nach Gabriel Ausschau.
» Nach allem, was man weiß, wurde Nelson gefoltert, Floriana. Gefoltert. Verstehst du, was das heißt? «
Floriana lachte, und in ihre Stimme schlich sich Bitterkeit. » Ob ich das verstehe? Polizei und Drogenhändler tun nichts anderes in dieser Scheißfavela… «
» Man hat ihn gefoltert, weil er etwas wusste. Er hat nichts gesagt, und sie haben ihn mit dem Kopf nach unten in einen Brunnen gehängt. «
» Was interessiert mich Nelson. Haben die je etwas getan, um uns zu helfen, er und seine steinreiche Frau? «
Carlo schwieg. In diesem Moment leierte der Fahrer eines anderen Busses in unverständlicher Weise die Namen verschiedener Favelas herunter.
» Ich muss gehen « , sagte Floriana. » Es passt mir sowieso nicht, wenn man uns hier zusammen sieht. « Sie rief nach Gabriel und schob ihn zum Bus. Carlo sah die Lichter der Favela. Er wollte noch etwas sagen, wusste aber nicht, was.
Sie schaute sich noch einmal um. » Hast du ein Handy? Gib mir die Nummer. « Carlo gab sie ihr.
» Und jetzt fahr nach Copacabana zurück, da ist es schöner « , sagte Floriana und schaute ihn mit einer Mischung aus Ironie und Verachtung an. Dann nahm sie ihren Platz im Bus ein.
Carlo schaute sich um und ging dann zu einer anderen Bushaltestelle. Unter den Bögen des Viadukts bereiteten sich Menschen auf eine Nacht in grauen Decken vor. In gemächlichem Tempo brachte ihn der Bus nach Glória, wo er die U-Bahn nahm. Als er an seinem Haus in einer Querstraße der Tonelero ankam, war Copacabana noch vom Verkehr verstopft, und die Meerluft vermischte sich mit dem Smog. Einen kurzen Moment stand er vor der offenen Tür seines leeren
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