Durst: Thriller (German Edition)
hinten. So weitete er die Lungen und füllte sie langsam mit Sauerstoff. In dieser Stellung, seiner Lieblingsposition, spürte er das Glücksgefühl durch die Lendenwirbel strömen, aber er schaffte es nicht, sein Gehirn auszuschalten. Nicht an diesem Morgen.
Er blieb in dieser Position, bis der symmetrische Schmerz in den Schultern seinen Hals erreichte. Das war das Signal. Die nächsten fünfzehn Minuten widmete er den restlichen Übungen, dann blieb er breitbeinig sitzen, die Handflächen auf dem Holzboden, und dachte nach. Sein Problem war der Kopf, das wusste er. Wir können versuchen, die Welt zu gestalten, schrieb der indische Philosoph Krishnamurti in einem Buch, das Matheus oft las, wir können dem Menschen Essen, Unterkunft und Annehmlichkeiten geben und denken, dass darin Freiheit besteht, aber Freiheit ist ein Zustand des Geistes. Nur im Geist gewinnt man den Kampf gegen die Angst.
Matheus schloss die Augen. Warum war ihm das jetzt in den Sinn gekommen? Hatte er Angst? Und wovor? Die Angst kannte so viele Erscheinungsformen…
Als er in die Wohnung zurückkehrte, stand Cássia in der Küche und kochte Kaffee. Ihre offenen Haare fielen auf ein graues Hemdchen herab, unter dem sie nur einen weißen Slip trug. Sie hatte eine Papaya durchgeschnitten und Orangensaft ausgepresst. » Möchtest du Toastbrot? «
Matheus wusch sich die Hände im Spülbecken.
» Ich weiß nicht. «
» Wie war’s oben? «
» Geht so. «
» Es ist nicht deine Terrasse in Ilhéus, klar, aber übel ist der Raum auch nicht. «
Er sagte nichts und setzte sich an den Küchentisch. Der Raum war großzügig geschnitten. Eine Fenstertür führte auf eine kleine Terrasse voller Kübelpflanzen.
Matheus fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. » Mach ihn stark, den Kaffee. «
Cássia nickte und fügte noch einen Löffel Kaffeepulver hinzu.
Als er fertig war, tranken sie schweigend. Irgendwann sagte Matheus: » Sehr gut. «
Cássia lächelte. » Ist ja auch italienischer. «
Wie schön diese Frau doch war, die er da vor sich hatte, dachte Matheus.
Cássia schenkte sich noch eine Tasse Kaffee ein und setzte sich wieder. Sie wartete einen Moment, trank einen Schluck und fragte dann so beiläufig wie möglich: » Warum wollte Sarah Clarice eigentlich nicht hier schlafen? «
Matheus breitete die erste Seite der Folha de S. Paulo auf dem Küchentisch aus. Die Zeitung wurde jeden Morgen um sechs vor Cássias Tür gelegt. In den Umfragen lag Lula eindeutig vor Geraldo Alckmin.
» Sie wollte lieber bei einer Freundin wohnen. «
» Sie hat Freunde in São Paulo? «
Matheus schaute nicht von seiner Zeitung auf. » Was ist daran so ungewöhnlich? «
» Nichts, überhaupt nichts. Wann wollt ihr denn heute ins Büro kommen? «
» Keine Ahnung. Wann wäre es dir recht? «
» Vielleicht nach der Mittagspause. Dann könnt ihr eventuell auch mit William sprechen. Er ist unser Finanzexperte. Diese Geschichte ist aber irgendwie absurd, Matheus. Ich begreife nicht, wieso ihr nicht zur Polizei gegangen seid nach der Sache in Paraty. «
» Das hab ich dir doch erklärt, Cássia. Die Polizei sollte man da besser raushalten, das bringt bloß Ärger. «
» Reg dich nicht auf, ich verstehe ja schon. Andererseits seid ihr aber Zeugen eines Mordes. «
» Sag das bloß nicht diesem William… «
» Denkst du, dass er hingeht und es überall herumerzählt? Wir sind Anwälte. Wenn du mir etwas sagst, unterliegt das der anwaltlichen Schweigepflicht. «
» Solange ich es dir als Mandant erzähle, klar. «
Sie runzelte die Stirn. » Leidest du neuerdings unter Verfolgungswahn? «
» Vielleicht. « Matheus schenkte sich noch einen Kaffee ein.
Emmanuel Polaco, Hauptmann der Bundespolizei, befahl seinem Fahrer just in diesem Moment, an den Straßenrand zu ziehen. Sie befanden sich auf der BR 373 von Guarapuava nach Cascavel im Bundesstaat Paraná. Hinter ihnen hielten zwei identische Autos, jedes mit vier Mann Besatzung. Alle stiegen aus und versammelten sich um den Hauptmann. Polaco war zweiunddreißig Jahre alt und hatte nur noch wenige Haare auf dem Kopf, die er allerdings sorgfältig bleichte.
Er trug eine schwarze Ray-Ban, einen schwarzen Pullover und eine Militärhose aus schwarzer Baumwolle. An den Füßen hatte er schwarze Springerstiefel. Es gab Momente wie diesen, in denen seine Arbeit besonders schwierig war. Zweihundert Meter weiter, gleich hinter der Kurve, befand sich eine Kaserne der Militärpolizei. Es war eine Provinzkaserne, in der
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