Durst: Thriller (German Edition)
warten. Wenn sie zurückkommt, sag ich dir Bescheid. «
Matheus nickte und setzte sich auf einen der Stühle im Flur. An den Wänden hingen Plakate über die Vorbeugung gegen bestimmte Krankheiten, unter anderem Tuberkulose. Ein Comicstrip veranschaulichte, wie man bestimmte Ansteckungsrisiken vermied. Dann gab es noch Plakate der Kampagne gegen Drogenmissbrauch, die vor allem vor dem Konsum von Crack warnten. Nach einer Weile hörte Matheus, wie sich draußen Schritte näherten. Eine unglaublich kleine Frau und ein älterer Mann traten ein, musterten ihn kurz und verschwanden dann in dem großen Raum.
Zehn Minuten später kam die Frau wieder heraus und trat auf Matheus zu. » Sie wollten mich sprechen? «
Matheus stand auf. » Sind Sie Francesca? «
» Ja. «
» Kann ich privat mit Ihnen reden? « , fragte Matheus leise.
Francesca unterbrach ihn schroff. » Sind Sie Journalist? Ich sage Ihnen gleich, dass wir keinerlei Reportagen über unsere Arbeit dulden. «
» Nein, nein « , sagte Matheus schnell und immer noch sehr leise.
» Warum flüstern Sie eigentlich? «
» Sie haben recht, Entschuldigung. Ich bin kein Journalist, sondern Biochemiker. Mein Name ist Matheus Braga. «
Francesca schaute zu ihm auf. Matheus bemerkte, dass ihre Schuhe einen kleinen Absatz hatten.
» Meine Kollegen sagten, Sie seien von der Oswaldo-Cruz-Stiftung. «
» Ja. Oder vielmehr nein. «
Francesca verschränkte die Arme. » Verstehe. Vielleicht sollten wir besser rausgehen. «
Sie traten auf die Veranda hinaus und setzten sich auf zwei Stühle. Nicht weit entfernt hockten Jugendliche im Kreis und redeten mit ein paar Ärzten.
» Also, Matheus, sagen Sie mir, warum Sie hier sind. Viel Zeit hab ich aber leider nicht. «
Matheus kam direkt zur Sache. » Ich suche meinen Bruder. «
» Wie heißt Ihr Bruder? «
» Ulisses Braga. «
Francesca zündete sich eine Zigarette an. Sie hatte kleine Hände, passend zum Rest des Körpers, aber sehr schöne. Am Ringfinger steckte ein Ehering aus Weißgold.
» Nie gehört. Hier ist niemand untergebracht, der Ulisses heißt. «
Matheus schwieg, dann erkundigte er sich: » Was machen Sie eigentlich hier? Wiedereingliederungsmaßnahmen? «
» Ja, auch. « Francesca sprach sehr gut Portugiesisch. » Darüber hinaus helfen wir den Leuten, die Drogenabhängige in der Familie haben, was häufig vorkommt. Außerdem machen wir Vorsorgearbeit und kümmern uns um Patienten, die sich in den öffentlichen Krankenhäusern andere Krankheiten zuziehen. Das Gesetz verlangt, dass Crackabhängige behandelt werden, aber in Wahrheit gibt es gar nicht die institutionellen Voraussetzungen dafür. «
» Sie sind auf Crack spezialisiert? «
» Ja. Crack ist das Monster, das wir bändigen müssen. In Brasilien verbreitet es sich wie die Pest. Es ist die perfekte Droge für Löcher wie die Favelas, weil es wesentlich billiger ist als Kokain und viel leichter herzustellen als Heroin. «
» Crack ist erhitztes Kokainpulver, nicht wahr? «
» Ja, vermischt mit Natron. Die Jugendlichen nehmen auch noch Ammoniak dazu. Sie schneiden Plastikflaschen durch und benutzen sie als Pfeife. Viele der Kinder hier haben crackabhängige Mütter, die abends kein Abendessen auftischen, sondern Crack kochen und ihre Kinder dann in die Restaurants schicken, um die Steine zu verkaufen. Favelas wie die unsere sind im Wesentlichen matriarchalisch organisiert. Die Männer kommen vorbei, schwängern die Frauen und sind dann wieder weg. Sie haben ein Kind in Juramento, eines in Penha, eines in Cantagalo in Copacabana und ein viertes in Macaco. Aber zurück zu deinem Bruder. Wer hat dir gesagt, dass er bei uns war? «
» Meine Schwägerin. Ich habe die beiden allerdings seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. «
» Und warum suchst du sie dann ausgerechnet jetzt? « Francesca zündete sich noch eine Zigarette an und musterte ihn.
Matheus schwieg.
» Okay, geht mich auch nichts an. Ich habe hier aber keinen Ulisses. Vielleicht hat er sich ja als Bettler verkleidet, um inkognito zu bleiben. « Sie lächelte und stieß Rauch aus.
Matheus lächelte ebenfalls. Francesca hatte sehr wache Augen. Sehr große zudem.
» Wenn du möchtest, führe ich dich durch die Räume. Vielleicht ist er ja irgendwo. «
» Okay, gut. «
» Und du bist sicher, dass du kein Journalist bist? «
Matheus lächelte und nickte.
Sie gingen durch verschiedene Teile des Gebäudes, große Räume mit vielen stationären Patienten, fast alle ziemlich jung.
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