Éanna - Ein neuer Anfang
jedenfalls sicherer und du bekommst zudem auch noch Zinsen dafür. Auch wenn es anfangs nur ein paar Cent sind, die dir gutgeschrieben werden, so ist das doch gutes Geld, für das du nicht arbeiten musst! Geh zur Empire Savings & Loan auf der 12th Street und eröffne dort ein Konto!«
Und so betrat Éanna an einem Dienstagnachmittag Ende November mit klopfendem Herzen und dem Gefühl, in ihrer Dienstmädchenkleidung völlig fehl an diesem Ort zu sein, zum ersten Mal in ihrem Leben eine Bank. Doch sie merkte schnell, dass ihre Befürchtung völlig unbegründet war. Denn die Mehrzahl der Männer und Frauen, die in der großen Halle an den Schaltern standen, Einzahlungen machten oder andere wichtige Anliegen mit den Angestellten besprachen, schienen ihrem Äußeren nach ebenso einfache Leute zu sein wie sie. Und als sie wenig später mit einem Sparbuch, auf dem ein Guthaben von zwölf Dollar und vierzig Cent eingetragen war, durch den Dienstboteneingang zurück ins Haus der Harringtons eilte, platzte Éanna fast vor Stolz. Sie war von jetzt an tatsächlich die Kundin einer angesehenen Bank in New York! Wie viel war geschehen, seit man sie und ihre Mutter mit nichts als den Kleidern am Leib vor einem Jahr von ihrem kargen Stück Land vertrieben hatte!
Und es sollte noch mehr geschehen, womit Éanna nicht rechnete. Denn als der Dezember die ersten heftigen Schneefälle brachte, trat Patrick O’Brien unverhofft wieder in ihr Leben.
Vierundzwanzigstes Kapitel
Es geschah am ersten Sonntag des Monats, als Éanna um drei Uhr nachmittags aus dem Haus der Harringtons kam und sich auf den Weg machte, einige Lebensmittel für Eleanor Cox zu besorgen. Merkwürdigerweise überraschte es sie nicht im Geringsten, ihn plötzlich vor sich stehen zu sehen. Irgendwie hatte sie seit ihrem letzten Treffen immer mit dieser Begegnung gerechnet und sie – besonders seit Brendan nicht mehr in New York war und Éanna manchmal ein Gefühl furchtbarer Einsamkeit überkam – ein paar Mal sogar richtig herbeigesehnt.
»Ihr scheint ja sehr gut darüber unterrichtet zu sein, wann ich Freizeit habe, und darüber hinaus auch, zu welcher Zeit ich aus dem Haus komme, Patrick«, begrüßte sie ihn nun spöttisch, freute sich zugleich aber sehr, ihn zu sehen.
Er machte eine verlegene Geste. »Das wusste ich, bevor ich dich ermutigt habe, bei Missis Harrington vorzusprechen.«
»Kann es außerdem sein, dass ich Euch vor Kurzem in der Kirche St. Michael the Archangel an der 7th Avenue gesehen habe?«, fuhr sie fort und genoss das Gefühl, dass sie es einmal war, die ihn in Verlegenheit brachte.
»Das mag sein, denn mir gefällt diese Kirche besser als die Kathedrale, wo immer ein großer Andrang herrscht«, sagte er achselzuckend. »Zudem liegt meine Pension gar nicht so weit von St. Michael entfernt.«
Éanna, der Patrick bei ihrem letzten Treffen seine neue Adresse aufgeschrieben hatte, wusste sehr genau, wo die Pension lag – nämlich einen ordentlichen Fußmarsch oder eine zehnminütige Kutschfahrt von der 7th Avenue entfernt. Sie grinste nur und wechselte dann das Thema.
»Und wem verdanke ich nun die Ehre eines so überraschenden Wiedersehens mit Euch?«
»Meiner unverbesserlichen Neugier zu wissen, ob es dir gut geht und ob du zufrieden mit deiner Anstellung bei den Harringtons bist, Éanna.«
»Wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat, ein kleines Rädchen in dem fein abgestimmten Uhrwerk der Herrschaft zu sein und sich von morgens bis in die Nacht hinein sputen zu müssen, um dieses Getriebe am Laufen zu halten, lässt es sich bei ihnen aushalten«, antwortete Éanna leichthin, wurde, als sie seinen bestürzten Blick sah, jedoch schnell wieder ernst: »Nein, ich kann mich wirklich nicht beklagen, Patrick. Der Lohn ist anständig und ich komme mit Mister und Missis Harrington und auch mit den anderen Dienstmädchen gut zurecht. Wenn ich ehrlich bin, habe ich in den letzten beiden Monaten so viel Neues gelernt, wie ich es mir vorher nie hätte träumen lassen.«
»Ich bin sehr froh, dass du das sagst.« Patrick war sichtlich erleichtert. »Ich wollte mich schon viel früher bei dir erkundigen, wie dir die Arbeit gefällt, aber ich fürchtete, du könntest mich für … nun ja, für aufdringlich halten. Und jetzt verabschiede ich mich von dir, denn du bist sicher auf dem Weg zu deinem Freund, und ich möchte nicht, dass du meinetwegen noch einmal in Schwierigkeiten gerätst.«
Éanna schüttelte den Kopf. »Ich würde zu Fuß im
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