Éanna - Ein neuer Anfang
zusammengespart haben.«
Aufmerksam studierte Patrick die Anzeige. »Ein Wagentreck nach Westen durch nicht annähernd erforschte Gebiete und vermutlich sogar Indianerland … was für ein Abenteuer! Das wäre doch einmal eine Geschichte, die es sich lohnt zu erzählen!« Seine Stimme klang immer begeisterter. »Auf so einem Treck könnte man bestimmt eine Menge Material sammeln … und hinterher würde man dann etwas schreiben, was die Menschen hier in Amerika mehr interessiert als die Hungersnot in unserer Heimat. Eine großartige Idee!« Er lachte. »Und wer ist es, der mich mit der Nase darauf stößt! Mal wieder du, Éanna!«
Éanna schüttelte den Kopf. »Das stimmt ja wohl nicht ganz«, widersprach sie. »Ihr hattet doch schon mit Eurem Buch in Irland begonnen, bevor wir uns begegnet sind.«
»Ja schon, aber ich hatte mich zu diesem Zeitpunkt in eine Idee verrannt, die nichts taugte, und kam mit meinem Manuskript nicht mehr weiter!«, erinnerte er sie. »Du hast mir damals die Augen dafür geöffnet, wie man eine Geschichte über die große Hungersnot erzählen muss. Erst dadurch ist der Text wirklich lebendig und lesenswert geworden!«
Éanna zuckte die Achseln und steckte die Anzeige wieder ein. »Das kann schon sein, aber geschrieben habt letztlich Ihr dieses Buch, wenn mich nicht alles täuscht. Und jetzt muss ich mich leider von Euch verabschieden, denn Missis Cox wird sicher schon auf mich warten. Und dann will ich auch noch Emily besuchen!«
Zwei Wochen später, nur wenige Tage vor Weihnachten, wartete Patrick erneut wie selbstverständlich vor dem Haus der Harringtons auf Éanna, die ihn fröhlich begrüßte. Er führte sie in eine Gaststube ganz in der Nähe und wieder sprachen sie lange und voller Begeisterung über den Siedlertreck, der im Frühjahr von Independence aus zu seiner langen Reise an die Westküste aufbrechen sollte.
Und Patrick brachte ihr an diesem Tag nicht nur wie versprochen die beiden Magazine mit, sondern überredete Éanna auch, im Anschluss an ihren Gasthausbesuch gemeinsam mit ihm in einem Theater auf der Bowery Street eine Marionettenvorstellung anzuschauen. Éanna, die neugierig war, zögerte nicht lange.
Die Aufführung gefiel ihr sehr. Noch nie hatte sie so etwas Kunstvolles und Aufregendes gesehen wie dieses Miniaturschauspiel. Wie unglaublich lebensecht die Marionetten in ihren herrlichen Kostümen wirkten und wie liebevoll und detailliert die Kulisse gestaltet war! Mit großen Augen verfolgte Éanna das Schauspiel und merkte dabei gar nicht, wie schnell die Zeit verstrich. Anderthalb Stunden lang vergaß sie ihre mühselige Arbeit als Dienstmädchen völlig.
Als Patrick sie nach der Vorstellung in die Franklin Street begleitete, wo Éanna Emily besuchen und ihr ein Weihnachtsgeschenk – einen schönen dicken Wollschal und ein Paar warme Handschuhe – bringen wollte, zog er zum Abschied plötzlich ein kleines Päckchen aus seiner Manteltasche.
»Aber Ihr habt mir doch heute schon ein so wunderschönes Geschenk gemacht!«, wehrte sie verlegen ab, als er ihr das in Seidenpapier eingeschlagene Paket in die Hand drückte.
»Morgen ist Heiligabend, Éanna, und da macht man doch Menschen, die einem am Herzen liegen, ein kleines Geschenk«, erwiderte er. »Mehr ist es auch nicht. Und nun mach es auf und sieh nach, ob es dir gefällt!«
Zögernd wickelte sie die Schachtel aus dem Schmuckpapier und öffnete den Deckel. Was sie sah, überraschte sie völlig: Auf rotem Samt lag eine Kamee*, die an einem runden schwarzen Lederband hing. Der ovale Anhänger, etwas größer als ein Silberdollar, bestand aus einem cremeweißen Material, das Elfenbein sein musste und in das in unglaublich feiner Schnitzarbeit das Bild eines vierblättrigen Kleeblattes, umrankt von winzigen Rosenknospen, gearbeitet war.
»Ihr müsst von Sinnen sein, Patrick!«, stieß Éanna fast erschrocken hervor. »So etwas Kostbares kann ich nicht von Euch annehmen! Unmöglich! Das müsst Ihr wieder dorthin zurückbringen, wo Ihr es gekauft habt!« Schnell schloss sie die Schachtel wieder und hielt sie ihm entgegen.
»Du musst es annehmen, Éanna! Es ist gar nicht so kostbar, wie es aussieht!«, versicherte er hastig und schob ihre Hände zurück. »Außerdem kann ich es gar nicht mehr zurückgeben, selbst wenn ich es wollte. Denn diese Kamee ist nicht aus Elfenbein gearbeitet, wie es den Anschein hat, sondern aus einem Stück Walknochen. Ich habe sie einem Matrosen im Hafen abgekauft, der sich auf
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