EB1021____Creepers - David Morell
Treu‐
händer haben nein gesagt. Sicherheitsbedenken. Ich hab ver‐
sucht, in den Kasten einzubrechen, aber das verdammte Para‐
gon ist eine Festung.« Balengers Stimme wurde noch anges‐
pannter. »Vor drei Monaten habe ich einen Zeitungsartikel
über urban explorers gelesen – dass ihre Exkursionen geplant
sind wie Sondereinsätze, dass manche davon absolute Genies
sind, wenn’s darum geht, Gebäude zu infiltrieren, die eigent‐
lich nicht infiltriert werden können. Ich habe mir ein paar ein‐
schlägige Websites angesehen und mich bei einer Gruppe ge‐
meldet, aber ich habe den Fehler gemacht, denen zu erzählen,
warum ich ihre Hilfe beim Einsteigen brauchte. Die haben
mich behandelt wie einen Undercoveragenten mit einer Bom‐
be am Gürtel. Die nächste Gruppe habe ich davon zu überzeu‐
gen versucht, dass ich mit ihrer Hilfe in das Hotel reinkom‐
men wollte, weil es so ein faszinierendes altes Gebäude ist.
Aber die haben einem Außenseiter genauso wenig getraut wie
die erste Gruppe. Außerdem hatten sie schon eine ganze Liste
von alten Gebäuden, die sie sich ansehen wollten. Also habe
ich es als Nächstes mit der Website des Professors versucht
und ein Treffen mit ihm ausgemacht. Diesmal habe ich das
Motiv Geldgier vorgeschoben. Ich habe ihm Kopien von alten
Zeitungsartikeln aus der Zeit gezeigt, als Danata umgekom‐
men ist – Gerüchte über die Goldmünzen, die der Gangster
angeblich in einem geheimen Tresor gehortet hatte. Bob war
sehr höflich. Er hat gesagt, er würde es sich ansehen. Ich hatte
den Eindruck, er versuchte mich loszuwerden. Aber es hat
sich herausgestellt, dass er da gerade gefeuert worden war,
und eine Woche später hat er mich angerufen und mir gesagt,
er würde mir helfen – unter einer Bedingung.«
»Dass du ihm ein paar von den Goldmünzen besorgst«, sag‐
te Vinnie.
»Ja. Er hat dich und Cora und Rick sehr bewundert – er war
sich sicher, ihr würdet euch niemals drauf einlassen, die Mün‐
zen zu nehmen. Er hatte Angst um seine Gesundheit und da‐
vor, dass er die Herztherapie nicht bezahlen könnte. Er war
wütend, weil er seinen Lehrstuhl verloren hatte. Ihr könnt
euch gar nicht vorstellen, wie wütend. Wir sind zu einer Ab‐
machung gekommen. Ihr würdet mir unwissentlich dabei hel‐
fen, das Hotel nach einem Hinweis darauf abzusuchen, was
mit Diane passiert war. Dann würde ich am nächsten Abend
zurückkommen und für den Professor die Münzen holen. Na‐
türlich hatte ich vor, auf eigene Faust noch sehr viel gründli‐
cher zu suchen, sobald ich einmal wusste, wie man hier hi‐
neinkommt.«
»Ich weiß, dass Ronnie noch mindestens eine andere Frau
hier gefangen gehalten hat«, sagte Amanda. »Wie kannst du
dir da so sicher sein?«
»In dem Tresorraum, als er mich zum ersten Mal dort ein‐
geschlossen hat – ich habe im Dunkeln etwas auf dem Boden
berührt. Etwas über einen Zentimeter lang und breit. Ein Ende
war glatt und das andere unregelmäßig. Ich habe mir nicht
eingestehen wollen, was es war. Ein abgebrochener Fingerna‐
gel.« Regen peitschte gegen das Gebäude. Amanda zog die
Windjacke dichter um sich. »Ihr müsst euch vorstellen, wie es
war. Wir haben bei Kerzenschein zu Abend gegessen. Ronnie
hat mich zusehen lassen, wie er das Essen gemacht hat. Auf‐
wändige Feinschmeckermenüs. Die besten Weine. CDs mit
Musik von Bach oder Händel oder Brahms im Hintergrund.«
Amanda verzog das Gesicht. »Wir haben Stunden damit ver‐
bracht, in der Bibliothek zu lesen. Oft hat er mir auch laut vor‐
gelesen. Philosophie. Geschichte. Literarische Romane. Proust
mag er besonders gern. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit.
Verlorene Zeit.« Ihre Stimme schwankte. »Er hat mit mir über
das diskutieren wollen, was wir gelesen hatten. Ich glaube, das
war einer der Gründe dafür, dass er mich gekidnappt hat –
weil ich in einer Buchhandlung arbeite. Wir haben Filme ange‐
sehen. Immer künstlerische Filme. Meistens ausländisch, mit
Untertiteln. Cocteaus Die Schöne und das Tier. Bergmans Das
siebte Siegel. Renoirs Die Spielregel. Es ist immer um die Ver‐
gangenheit gegangen. Er hat mich nie das normale Fernseh‐
programm ansehen lassen. Er hat nie zugelassen, dass ich eine
Vorstellung davon hatte, was auf der Welt gerade vor sich
ging oder wie lang ich schon hier war. Bei den geschlossenen
Läden hatte ich keine Ahnung, ob es gerade Tag oder Nacht
war. Es gab
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