Echo gluecklicher Tage - Roman
folgenden Morgen konnten sie endlich weiterfahren. Beth holte ihr rotes Satinkleid heraus, um es abends zu tragen. Es hatte sich etwas schwarzer Schimmel darauf gebildet, weil es so lange weggepackt gewesen war, aber sie wischte ihn ab und hängte es zum Trocknen auf, aufgeregt über die Aussicht, wieder wie eine richtige Frau auszusehen, selbst wenn es nur für einen Abend war. Sie wusch sich auch das Haar und ließ es im warmen Sonnenschein trocknen.
Alle anderen waren mit ähnlichen Dingen beschäftigt. Die Schlange vor dem Badezelt war die längste, die sie jemals gesehen hatte, und jemand erzählte ihr, dass sie inzwischen für zwölf Mann dasselbe Wasser benutzten und ihnen anboten, sich anschließend mit kaltem Wasser abzuwaschen.
Einige der Männer, darunter Jack, halfen den Leuten, die mit ihren Booten noch nicht fertig waren. Selbst die Hunde wurden von der Aufregung angesteckt und rannten wild bellend im Camp herum.
Um acht Uhr abends spielte Beth im Golden Goose, einem großen Spielsalon-Zelt, vor voll besetztem Haus. Leute kamen, die man dort sonst nie gesehen hatte, und alle tanzten.
Viel später, als Beth mit Theo zurück zu ihrem Zelt ging, hallte der donnernde Applaus noch immer in ihr nach, und sie freute sich über die fünfundzwanzig Dollar in Theos Hut. Doch dann hörte sie einen jungen Mann »Sweet Molly« singen. Bis zu diesem Moment hatte sie vergessen, dass ihre Mutter Sam und ihr dieses Lied immer vorgesungen hatte, als sie noch klein gewesen waren, und es jetzt wieder zu hören, so weit von zu Hause weg, am Vorabend des letzten Teils ihrer Reise, schien ein böses Omen zu sein.
Sam und Jack blieben noch im Saloon, und zum ersten Mal seit Monaten schlief Theo mit ihr. Später, als Beth sich erschöpft an seine Schulter schmiegte und dem fröhlichen Treiben im Camp lauschte, glaubte sie, die glücklichste Frau hier zu sein.
Die kurze Nacht hielt niemanden davon ab, am nächsten Morgen zeitig aufzustehen und nachzusehen, in welchem Zustand das Eis war.
Es schwammen noch immer einige größere Schollen vorbei, aber sie konnten die Segel setzen und losfahren. Plötzlich bauten alle die Zelte ab, packten ihre Töpfe, rollten das Bettzeug zusammen und schafften den Proviant und die Ausrüstung hinunter zu den Booten.
Beth lächelte in sich hinein, während sie das rote Satinkleid faltete und ihre besten Stiefel zurechtstellte, damit Theo sie sicher in einem der größten wasserdichten Säcke verstauen konnte, den sie erst in Dawson City wieder öffnen würden. Sie trug wieder ihr altes dunkelblaues Baumwollkleid, ihren dicken Mantel, den Hut mit der breiten Krempe und Gummistiefel. Ein paar Sachen zum Wechseln und ihre Geige waren für die Reise in einer kleinen wasserdichten Tasche verpackt.
Sie sah zu, wie Sam seine Sachen verstaute. Es war das erste Mal, dass sie ihn seit dem letzten Sommer ohne Hemd sah, und es überraschte sie, dass sein jungenhaft schmaler Brustkorb, an den sie sich noch aus ihren Tagen in Liverpool erinnerte, jetzt mit harten Muskeln bepackt war. Andererseits waren auch ihre Beine und Arme muskulöser geworden. All das Tragen, Schlittenziehen und Schleppen der Wassereimer hatte sie fast so stark gemacht wie die Männer.
»Bist du aufgeregt, Sam?«, fragte sie.
»Darauf kannst du wetten!«, antwortete er, und auf seinem hübschen Gesicht erschien ein breites Lächeln. »Ich weiß, wir haben noch einen langen Weg vor uns, aber es wird einfach, und das Wetter ist jetzt gut.«
»Ich frage mich, ob wir zusammenbleiben, wenn wir dort sind«, sagte sie nachdenklich. »Glaubst du immer noch, dass du mit Theo einen Spielsalon aufmachen kannst?«
»Natürlich können wir das, Schwesterchen.« Er lachte. »Wenn du die Leute mit deiner Geige reinlockst, dann kann nichts schiefgehen.«
»Denkst du noch manchmal an England?«, wollte sie wissen. Es war ihr vorher nie in den Sinn gekommen, ihm diese Frage zu stellen.
Er lächelte. »Um ehrlich zu sein, nicht oft. Es zieht mich nichts dorthin zurück. Wir würden dort niemals so viel erleben wie hier.«
»Aber Molly ist dort«, widersprach sie.
Er kratzte sich an seinem blonden Kopf und sah ein bisschen verlegen aus. »Wir bedeuten ihr jetzt nichts mehr. Sie wird sich nicht mal an uns erinnern. Außerdem weiß ich, dass ich mich nicht mehr mit einem so eingeengten Leben zufriedengeben könnte. Nicht nach dem hier.«
Ein Kloß stieg Beth in den Hals, und Tränen brannten in ihren Augen. »Dann schätze ich, dass ich
Weitere Kostenlose Bücher