Echo Park
wussten, reichte aus.
Bosch hatte die Akte in zwanzig Minuten durchgelesen. Auch diesmal hatte er hinterher weniger als eine halbe Seite seines Blocks vollgeschrieben. Er hatte eine kurze Zeitlinie skizziert, in die er Waits’ Festnahmen sowie die Verwendung der Namen Raynard Waits und Robert Saxon eingetragen hatte.
Bosch studierte die Zeitlinie. Zwei Dinge fand er bemerkenswert. Zum einen hatte Waits offensichtlich erst mit zwanzig einen Führerschein bekommen, zum anderen hatte er, egal, welchen Namen er verwendete, immer denselben Geburtstag und -monat angegeben. Um noch als Minderjähriger durchzugehen, hatte er zwar bei einer Gelegenheit 1975 als Geburtsjahr angegeben, aber sonst ausnahmslos 1971. Bosch wusste, dass das bei Personen, die ihre Identität wechselten, gängige Praxis war. Man änderte den Namen, behielt aber einige der anderen Angaben unverändert bei, um nicht durcheinanderzukommen oder wichtige Daten zu vergessen – was einem vor allem bei Befragungen durch die Cops leicht zum Verhängnis werden konnte.
Durch die Recherchen, die Bosch und Rider Anfang der Woche durchgeführt hatten, wusste er, dass in Los Angeles County unter dem Datum 3.11. keine Geburtsurkunde für einen Raynard Waits oder Robert Saxon vorlag. Daraus hatten er und Rider den Schluss gezogen, dass beide Namen falsch waren. Aber inzwischen war Bosch zu der Ansicht gelangt, dass das Geburtsdatum 3.11.71 womöglich stimmte. Vielleicht hatte Waits, oder wie immer er mit richtigem Namen hieß, sein Geburtsdatum beibehalten und nur seinen Namen geändert.
Bosch fiel die große zeitliche Nähe zwischen Fitzpatricks Ermordung und dem Ausstellungsdatum von Waits’ Führerschein auf. Dazwischen lag weniger als ein Monat. Hinzu kam noch, dass Waits seinen Personalunterlagen zufolge erst mit zwanzig einen Führerschein beantragt hatte. Bosch fand es unwahrscheinlich, dass sich ein in der Autostadt L. A. aufwachsender Junge erst mit zwanzig einen Führerschein zugelegt haben sollte. Es war ein weiteres Anzeichen dafür, dass Raynard Waits nicht sein richtiger Name war.
Bosch konnte es fühlen. Wie ein Surfer, der auf die richtige Dünung wartet, bevor er zu paddeln beginnt, spürte er, wie seine Welle kam. Was er hier betrachtete, war die Geburt einer neuen Identität. Achtzehn Tage nachdem er im Schutz der Unruhen Daniel Fitzpatrick ermordet hatte, kam sein Mörder in die Führerscheinstelle in Hollywood und beantragte einen Führerschein. Als Geburtsdatum gab er den 3. November 1971 an, als Namen Raynard Waits. Bei der Antragstellung hatte er zwar eine Geburtsurkunde vorlegen müssen, aber wenn er die richtigen Leute kannte, dürfte das kein allzu großes Problem gewesen sein. Nicht in Hollywood. Nicht in L. A. Sich eine falsche Geburtsurkunde zu beschaffen wäre einfach und mit keinerlei nennenswerten Risiken verbunden gewesen.
Bosch glaubte, dass der Fitzpatrick-Mord und die Namensänderung sich zueinander wie Ursache und Wirkung verhielten. Irgendetwas in Zusammenhang mit dem Mord hatte den Mörder veranlasst, seinen Namen zu ändern. Das stand in krassem Widerspruch zu dem Geständnis, das Raynard Waits zwei Tage zuvor abgelegt hatte. Er hatte die Ermordung Daniel Fitzpatricks als einen Mord hingestellt, den er um des Kitzels willen begangen hatte, als eine Gelegenheit, lang gehegte Fantasien auszuleben. Er hatte Fitzpatrick ganz bewusst als ein Opfer dargestellt, das er sich vollkommen willkürlich und aus keinem anderen Grund als dem ausgesucht hatte, dass es zufällig gerade seinen Weg kreuzte.
Doch wenn es tatsächlich so gewesen sein sollte und der Mörder vorher keinerlei Kontakt mit seinem Opfer gehabt hatte, warum hatte er sich dann unmittelbar nach der Tat eine neue Identität zugelegt? Innerhalb von achtzehn Tagen besorgte sich der Mörder eine gefälschte Geburtsurkunde und beantragte einen neuen Führerschein. Raynard Waits war geboren.
Bosch wusste, irgendwo bestand hier ein Widerspruch. Wenn die Ermordung Fitzpatricks tatsächlich so abgelaufen war, wie Waits sie geschildert hatte, hätte für ihn kein Anlass bestanden, sich umgehend eine neue Identität zuzulegen. Doch dem widersprachen die Fakten – die Zeitlinie des Mordes und das Ausstellungsdatum des Führerscheins. Die Schlussfolgerung lag für Bosch auf der Hand. Es gab einen Zusammenhang. Fitzpatrick war kein Zufallsopfer. Zwischen ihm und seinem Mörder musste es eine Verbindung gegeben haben. Und das war der Grund, weshalb Waits seinen Namen
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