Echo Park
diesem Fall wäre er in den Park gefahren, wo das Risiko, entdeckt zu werden, geringer war.«
»Genau.«
Sie warf einen Blick auf einige ihrer Unterlagen.
»Was ist?«, fragte Bosch.
»Also, dieser Reynard-Fuchs-Aspekt muss nicht unbedingt etwas mit der Sache zu tun haben. Es könnte auch reiner Zufall sein …«
»Aber in dem Epos hatte Reineke, alias Reynard, eine Burg, die ihm als Versteck diente.«
Sie zog die Augenbrauen hoch.
»Ich dachte, du hast gar keinen Computer, und jetzt weißt du plötzlich, wie man im Internet recherchiert?«
»Das siehst du durchaus richtig. Die Internetsuche hat meine Partnerin gemacht. Ich muss dir allerdings sagen, dass ich heute, bevor ich dich angerufen habe, in dieser Gegend war. Aber ich habe nirgendwo eine Burg gesehen.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Du darfst nicht alles so wörtlich nehmen.«
»Trotzdem hätte ich noch eine wichtige Frage, was diese Reineke-Fuchs-Geschichte angeht«, sagte Bosch.
»Und die wäre?«
»Hast du dir das Festnahmeprotokoll in der Akte angesehen? Er weigerte sich zwar, mit Olivas und seinem Partner zu sprechen, aber als er ins Gefängnis eingeliefert wurde, beantwortete er die üblichen Fragen zu seiner Person. Unter Schulbildung gab er einen Highschool-Abschluss an. Also keine höhere Schulbildung. Ich meine, der Kerl ist Fensterputzer. Woher soll so jemand von einem Fuchs aus einer mittelalterlichen Fabel wissen?«
»Keine Ahnung. Aber wie gesagt, diese Figur tritt in allen möglichen Zusammenhängen immer wieder in Erscheinung. Kinderbücher, Fernsehsendungen, es gibt unzählige Möglichkeiten, wie die Figur einen nachhaltigeren Eindruck bei ihm hinterlassen haben könnte. Und unterschätze seine Intelligenz nicht, bloß weil er als Fensterputzer gearbeitet hat. Er hat immerhin eine eigene Firma geführt. Das lässt auf eine gewisse Intelligenz schließen. Und die Tatsache, dass er so lange unentdeckt sein Unwesen treiben konnte, ist ein weiterer Beweis seiner Cleverness.«
Bosch war noch nicht restlos überzeugt. Er feuerte eine weitere Frage ab, die sie in eine neue Richtung lenken sollte.
»Wie passen die ersten beiden Morde ins Bild? Zuerst eine Willkürtat unter dem Deckmantel der Unruhen, und dann sorgt er mit Marie Gesto für ein riesiges Medienspektakel, um schließlich, wie du selbst sagst, völlig von der Bildfläche zu verschwinden.«
»Bei jedem Serienmörder ändern sich die Arbeitsmethoden. Die einfache Antwort ist, dass er dazulernte. Ich halte den ersten Mord – das männliche Opfer – für eine reine Willkürtat. Ein Mord aus einer Laune heraus. Er hatte schon lange mit dem Gedanken gespielt, einen Menschen zu töten, war sich aber nicht sicher, ob er dazu in der Lage wäre. Dann fand er sich eines Tages in einer Situation wieder – das Chaos bei den Unruhen –, in der er sich auf die Probe stellen konnte. Für ihn war das die ideale Gelegenheit, herauszufinden, ob er tatsächlich jemand töten und ungestraft davonkommen konnte. Das Geschlecht des Opfers spielte dabei keine Rolle. In diesem Moment wollte er nur testen, ob er zu einem Mord in der Lage wäre, und dazu war ihm fast jedes Opfer recht.«
Das leuchtete Bosch ein. Er nickte.
»Also hat er es einfach getan. Aber jetzt kommen wir zu Marie Gesto. Er sucht sich ein Opfer, das in starkem Maß die Aufmerksamkeit der Polizei und der Medien auf sich zieht.«
»Er befand sich immer noch in einem Lernprozess, entwickelte sich weiter«, sagte sie. »Dass er töten konnte, wusste er inzwischen. Jetzt machte er gezielt Jagd. Sie war sein erstes Opfer. Sie kreuzte seinen Weg, irgendetwas an ihr stimulierte seine Fantasie, und sie wurde zur Beute. Zu diesem Zeitpunkt galt sein Hauptaugenmerk der Opferbeschaffung und der Selbsterhaltung. In dieser Hinsicht traf er eine schlechte Wahl. Er suchte sich eine Frau aus, die schmerzlich vermisst wurde und deren Verschwinden sofortige Reaktionen nach sich zog. Das war ihm vermutlich nicht klar, als er sich darauf einließ. Aber er hat daraus gelernt. Vor allem aus dem hohen Fahndungsdruck, den er dadurch auf sich zog.«
Bosch nickte.
»Wie dem auch sei, nach Gesto verstand er es, auf einen dritten Punkt zu achten – auf den Hintergrund des Opfers. Von nun an suchte er ganz gezielt Opfer aus, die nicht nur seine kranken Fantasien weckten, sondern auch in den Randzonen der Gesellschaft beheimatet waren, wo ihr Verschwinden keinerlei Beachtung fand, geschweige denn eine intensive Suche auslöste.«
»Und er tauchte
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