Echte Vampire haben Kurven
geartete Meinung über mich gebildet hast?«
»Es war ein Missverständnis.« Er ergriff Flos Hand. »Kaum war Florence mit dir zusammengezogen, hat sie mich verlassen. Das hat auf mich den Eindruck gemacht, als hättest du sie gegen mich aufgebracht.«
»Wie denn? Damals kannte ich dich doch noch gar nicht, Richard.«
»Genau das habe ich ihm auch gesagt. Ich wollte, dass er zu uns kommt und dich kennenlernt.« Sie drückte seine Hand. »Aber er hat sich geweigert, sein Haus zu verlassen und mehr unter die Leute zu gehen. Deshalb habe ich Schluss gemacht, Ricardo. Ich wollte ausgehen, tanzen, mich amüsieren, und du wolltest partout nicht mitkommen.«
»Das weiß ich jetzt, Liebling.« Er beugte sich zu ihr und küsste sie auf die Wange. »Ich lebe lieber zurückgezogen, und ich bin nicht von ungefähr nach Austin gekommen. Ich hatte gute Gründe …« – er sah mich an – »mich nicht gleich in die hiesige Vampirgemeinde einzugliedern.«
Ach ja? War einer dieser Gründe zufällig, dass er Vampire hasste? Wobei Flo natürlich die große Ausnahme bildete. Ich versuchte, seine Gedanken zu lesen. Keine Chance. Aber immerhin registrierte ich nicht wie sonst Hassgefühle. Das war schon mal ein Fortschritt.
»Ricardo konnte dem Lebensstil meines Bruders nie viel abgewinnen.« Florence lächelte. »Wer kann das schon? Damian verkleidet sich an Halloween als Dracula. Er könnte genauso gut gleich darum betteln, gepfählt zu werden. Es hat Jahre gedauert, bis ich mich daran gewöhnt hatte.«
»Er passt sich nach der ›man sieht den Wald vor Bäumen nicht‹-Taktik an.« Im Grunde tat ich mit meinem Laden genau dasselbe. Ich sah auf die Bloody-Merry-Dosen auf dem Tisch.
Florence trank ihre Ration aus einem Glas, mit einem Strohhalm, damit ihr Lippenstift nicht verschmierte. Heute war es übrigens ein schimmernder Lipgloss in der Farbe reifer Erdbeeren, der zu ihrem roten Top und ihrem Rock passte. Die Sterblichen dachten bestimmt, sie würde einen exotischen Fruchtcocktail trinken.
Jedenfalls kam ich mir nichtssagend und reizlos vor in meinem schwarzen Jogginganzug (mit dem Kevlar darunter) und den Turnschuhen. Ich hatte für alles gerüstet sein wollen, für den Fall, dass bei der Sache mit Ryan etwas schieflaufen sollte. Nun, so richtig gut war es allerdings auch nicht gelaufen. Es versetzt einen eben nicht gerade in Partylaune, wenn man herausfindet, dass man hintergangen wurde. Apropos Party …
»Geht ihr morgen zu Damians Halloween-Party? Diana hat behauptet, die dürfte man nicht verpassen.«
»Wir werden da sein, nicht wahr, Ricardo?« Flo spielte mit ihrem Strohhalm und ließ ihren Liebsten nicht aus den Augen. Das war offensichtlich ein kleiner Beziehungstest.
»Ja, es wird Zeit, dass ich mich in der Öffentlichkeit zeige.«
Flo lächelte. Test bestanden. Trotzdem war mir Richard irgendwie suspekt.
»Viele wissen bereits, dass du hier bist, Richard. Wir hatten neulich ein Meeting …«
»Bei dem mich Florence verteidigt hat. Sie hat mir davon berichtet.« Er nahm erneut ihre Hand. »Ich schwöre, ich habe weder Trevor noch Marguerite getötet.« Jetzt sah er mir geradewegs in die Augen. »Ich schwöre es.«
»Also gut. Dann sehen wir uns also morgen auf der Party.« Ich kam mir vor wie ein Idiot. Ich hätte erleichtert sein sollen, dass der Freund meiner Mitbewohnerin kein psychopathischer
Killer war. Oder war er doch einer? Flo hatte inzwischen begonnen, von Damians zahlreichen Partys in der Vergangenheit und der Gegenwart zu erzählen.
Richard Mainwaring schwor also, er wäre kein Mörder. Trotzdem hatte er Geheimnisse. Andererseits: Welcher Vampir hatte die nicht? Das liegt in der Natur der Sache. Selbst ich hatte welche. In Las Vegas hatte ich mich ständig bedeckt halten müssen. Im Nachhinein betrachtet wurde mir nun klar, dass ich viel zu isoliert gelebt hatte. Kein Wunder, dass ich der Spielsucht verfallen war. Statt mich gelegentlich in der Gesellschaft von Vampiren zu entspannen, hatte ich meine gesamte Zeit mit Sterblichen verbracht und andauernd auf der Hut sein müssen. Ein unbedachtes Wort, ein Aufblitzen der Vampirzähne, und schon war ich gezwungen gewesen, Erinnerungen auszulöschen. Ganz schön anstrengend.
Natürlich hatte ich auch nicht ungeniert mit einer Dose Bloody Merry in der Hand umherlaufen können, jedenfalls nicht ohne Dosenkühler, der den Namen meines Getränks verdeckte. Ich hatte behauptet, es sei mein Energydrink, aber wer nicht an den Geschmack gewöhnt ist,
Weitere Kostenlose Bücher