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Edgar und die Schattenkatzen (German Edition)

Edgar und die Schattenkatzen (German Edition)

Titel: Edgar und die Schattenkatzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marliese Arold
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unter bestimmten Bedingungen könnte die Seele auf Reisen gehen. Beispielsweise wenn man schwer verletzt oder todkrank war. Dann würde die Seele manchmal den Körper verlassen und herumfliegen. Man könnte alles sehen und hören, was ringsum vor sich gehe. Emma hatte auch gesagt, dass die Seele irgendwann wieder in den Leib zurückschlüpfen würde, solange man nicht wirklich tot wäre.
    Machte er, Edgar, jetzt etwa eine solche Seelenreise?
    Es war noch dämmrig, im Osten ging gerade die Sonne auf. Nebel lag über dem Boden wie ein Schleier. Edgar konnte den Kiesweg sehen, auf dem am Abend zuvor der Karren entlanggerollt war. Er bemerkte die Fußspuren, die die Männer hinterlassen hatten.
    Noch nie hatte Edgar alles so gut gesehen wie jetzt. Ihm entging keine Einzelheit. Er sah die Wassertropfen an den Gräsern und die kleinen Vögel, die sich schlaftrunken auf den Ästen regten. Er schwebte über dem Garten, dann über der Straße. Mühelos konnte er die Richtung ändern. Er brauchte es nur zu denken und schon flog er, wohin er wollte. Am liebsten hätte er laut gejubelt, so gut gefiel ihm seine neue Fähigkeit.
    Doch dann musste er an Algernon und Leyla denken. Was sie wohl gerade machten? Ob sie ihn vermissten?
    Kaum hatte er diesen Gedanken gedacht, sauste er durch die Gegend. Blitzschnell zog unter ihm die Landschaft vorbei, er konnte gar nicht alles erfassen. Ein so rasendes Tempo hatte er noch nie geschafft, selbst wenn er gerannt war und dabei alles gegeben hatte. Die Geschwindigkeit machte ihm fast schon wieder ein bisschen Angst, doch da wurde er bereits langsamer und stand schließlich in der Luft still. Als er nach unten blickte, entdeckte er Algernon und Leyla. Der rote Straßenkater blieb gerade stehen, um auf Leyla zu warten, die mühsam hinterherhumpelte. Edgar konnte sogar verstehen, worüber sich die beiden unterhielten.
    »Meinst du, das ist der richtige Weg?«, fragte Algernon. »Es gibt so viele Möglichkeiten, wohin die Tierfänger Edgar gebracht haben.«
    »Ich verlasse mich auf mein Bauchgefühl«, antwortete Leyla mit der schnippischen Stimme, die Edgar so gut kannte. »Und ich spüre, wir kommen Edgar näher!«
    »Bauchgefühl«, wiederholte Algernon spöttisch. »Das Ziepen in deinem Bauch kommt wahrscheinlich von der Verletzung, die du dir eingehandelt hast.«
    »Hallo«, wollte Edgar den beiden zurufen. »Ich bin hier oben. Ihr braucht nur hochzuschauen.«
    Doch kein einziger Laut drang aus seiner Kehle. Algernon blickte zufällig einmal kurz in die Luft, aber er schien Edgar nicht zu sehen. Edgar sah ja selbst nichts von sich … keine Pfoten, keinen Bauch, keinen Schwanz. Trotzdem war er da und hatte das Gefühl, dass er auch einen Körper hatte, der im Moment nur unsichtbar war.
    »Lass uns eine kleine Pause machen«, bat Leyla unten auf dem Weg. »Ich bin sehr erschöpft.«
    »Na gut«, sagte Algernon und setzte sich neben sie.
    Leyla begann sich zu putzen.
    Edgar sah, wie sich ein hagerer grauer Kater näherte. Algernon ging in Habtachtstellung. Der Fremde knurrte ihn an.
    »Verpiss dich, Roter! Das ist mein Revier!«
    »Reg dich ab, Grauschwanz!«, konterte Algernon. »Ich will dir dein Revier nicht streitig machen. Wir sind nur auf der Durchreise. Wir suchen nämlich einen Freund. Weißt du vielleicht etwas über die Tierfänger, die gestern Abend unterwegs gewesen sind?«
    Der graue Kater ließ sich Zeit mit der Antwort. Er kratzte sich ausgiebig, dann sagte er: »Ich könnte euch sagen, wohin sie gegangen sind. Ich weiß, wohin sie die gefangenen Katzen bringen. Was kriege ich für diese Information?«
    »Was willst du?«, fragte Algernon mit einem unfreundlichen Unterton in der Stimme.
    »Wenn du mir schon keinen Leckerbissen anbieten kannst – wie wär’s, wenn du mich ein paar Stunden mit deiner Süßen verbringen lässt?« Der Graue warf einen begehrlichen Blick auf Leyla. Eines seiner Augen war blind.
    Algernons Fell sträubte sich, aber da mischte sich schon Leyla ein.
    »Ich bin nicht seine Süße , ich gehöre nur mir selbst! Und ICH entscheide, mit wem ich mich abgebe!« Ihre blauen Augen funkelten den grauen Kater an. »Also, willst du uns jetzt helfen oder nicht? Was hast du davon, wenn du das Geheimnis bei dir behältst? Steckst du vielleicht mit den Tierfängern unter einer Decke?«
    »Bestimmt nicht«, sagte der Graue schnell. »Wofür hältst du mich?«
    »Ich hätte mich auch gewundert, wenn du kein Gentleman wärst«, säuselte Leyla, jetzt zuckersüß.

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