Edgar und die Schattenkatzen (German Edition)
sein. Immer wieder versuchten einige von ihnen auszubrechen, warfen sich gegen die Käfigwände oder rüttelten am Gitter.
Der schwarze Kater dachte an Leyla und Algernon und sehnte sich zurück in den Keller, wo seine Freunde jetzt sicher schliefen. Ob sie ihn vermissten? Edgar schluckte traurig. Wenn er nicht so wütend gewesen wäre, wäre er nicht weggelaufen und hätte außerdem besser aufgepasst. Wut war schlecht, sie stumpfte die Sinne ab … Edgar starrte vor sich hin. Diese Erkenntnis half ihm leider auch nicht weiter.
Sue war erwacht und begann wieder, ein Lied zu summen. Edgar rückte näher ans Gitter, in der Hoffnung, doch noch ein paar vernünftige Worte mit ihr wechseln zu können.
»Wie lange bist du schon hier, Sue?«
»Länger als wir denken können«, antwortete sie. »Eine Ewigkeit.«
»Und wem gehört dieser Keller? Weißt du das? Wer ist der weiße Engel, von dem du gesprochen hast?«
»Er heißt Miss Eleanor und kommt immer zusammen mit Professor Murphy«, antwortete Sue, die anscheinend gerade einen lichten Moment hatte. »Die beiden erscheinen jeden Morgen, drehen ihre Runde, schauen, wie es uns geht und verabreichen uns dann eine neue Dosis.«
»Bekommen wir auch Futter und Wasser?«
»Ja, klar. Miss Eleanor würde uns nie verhungern lassen. Aber Professor Murphy ist geizig. Wahrscheinlich bekommt er billig irgendwelche Abfälle. Das Futter schmeckt scheußlich, wir warnen dich.«
»Weißt du, ob es eine Möglichkeit gibt, hier rauszukommen?«, fragte Edgar hoffnungsvoll.
»Seit wir hier sind, ist es noch keinem gelungen«, sagte Sue. »Nicht ohne Murphys Einverständnis. Ab und zu verkauft er Katzen an einen Interessenten. Die müssen dann wenigstens nicht mehr leiden, obwohl wir nicht wissen, was mit ihnen passiert.«
»Jemand kauft Katzen?«, hakte Edgar nach. »Warum?«
»Das wissen wir nicht, das haben wir doch schon gesagt. Aber Mister Silver kommt regelmäßig, und fast jedes Mal hat Professor Murphy eine oder zwei Katzen für ihn. Silver zahlt gut.«
Silver … Silver … Edgar überlegte, wo er den Namen schon einmal gehört hatte. Dann fiel es ihm ein. Silver hieß der merkwürdige Kunde, der in Mister Carringtons Antiquariat gekommen war und unbedingt dieses seltene Buch gewollt hatte. Hm … Wie passte das zusammen? Katzen und ein wertvolles Buch … Edgar zermarterte sich das Hirn, um einen sinnvollen Zusammenhang herzustellen, aber es wollte ihm keiner einfallen. Ob Mister Silver vielleicht einfach nur Bücher und Katzen sammelte? Aber was wollte er mit so vielen Katzen? Edgar wurde aus dieser Sache nicht schlau.
»Er hat … keinen Schatten«, murmelte Sue.
Edgar horchte auf. »Was hast du gerade gesagt?«
»Wir sagten, er hat keinen Schatten«, wiederholte Sue. »Das ist uns aufgefallen. Wir sehen alles. Wir haben nämlich sehr gute Augen und auch ein sehr gutes Gedächtnis.«
»Du meinst, Mister Silver hat keinen Schatten?«, vergewisserte sich Edgar.
Sue gähnte. Ihre Augen trübten sich wieder ein, der lichte Moment schien vorbei zu sein. Sie summte wieder vor sich hin.
»Mister Silver ohne Schatten
hat daheim wohl viele Ratten,
denn wozu braucht er sonst die Katzen,
die ihm Tisch und Stuhl zerkratzen?«
Dann sank sie erneut in tiefen Schlaf.
»Kein Schatten, kein Schatten«, murmelte Edgar und drehte sich im Kreis, als könnte er so Klarheit in seine Gedanken bringen. Der schwarze Panther hatte auch keinen Schatten. Konnte es sein, dass Mister Silver den schwarzen Panther zu Hause hatte? Als Haustier? Und vielleicht besorgte er deswegen die Katzen, damit sein Panther … sie fressen konnte?
»Oder damit er ihre Seele fressen kann«, sagte Edgar leise. Er hatte Kopfschmerzen vom vielen Nachdenken. Irgendetwas stimmte mit diesem Mister Silver nicht. Leyla hatte ja auch schon gesagt, dass ihr der Mann unheimlich vorkam. Edgar nahm sich vor, Leyla zu fragen, welche Bücher Mister Silver sonst noch so gekauft hatte. Vielleicht lieferten die Bücher einen Hinweis darauf, was Mister Silver machte – auf seine Arbeit, auf seine Hobbys …
Aber ob Edgar Leyla je wiedersehen würde?
Mit dieser Frage im Kopf fiel der Kater in einen unruhigen Schlummer. Immer wieder wachte er auf und war jedes Mal traurig, als er erkannte, wo er sich befand. Algernon und Leyla schienen ganz weit weg zu sein. Unerreichbar …
A m nächsten Morgen wurde die Tür aufgerissen, Licht flammte auf, und zwei Personen stürmten in den
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