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Egeland, Tom

Titel: Egeland, Tom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frevel
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holen. Papa hatte das Seil mit sich in die Tiefe gerissen.
    Es gab eine Untersuchung. Ein Bericht wurde verfasst.
    Aufgrund seiner größeren Erfahrung war Trygve für die Sicherheit verantwortlich gewesen. Deshalb stand er oben auf dem Felsvorsprung. Um aufzupassen, dass alles so lief, wie es sollte. Was es nicht tat. Der Sicherungsanker hatte sich beim Abseilen gelöst. Materialermüdung, hieß es im Bericht. Auch wenn sich niemand erklären konnte, wie es zu diesem Versagen gekommen war. Es war einer dieser Fehler, die eigentlich nicht vorkommen konnten. Papa hatte keine Chance gehabt.
    Doch niemand wollte Trygve Arntzen einen Vorwurf machen. Weder Mama noch die Untersuchungskommission. Er nahm das Unglück sehr schwer.
    ∗ ∗ ∗
    E in halbes Jahr später heiratete er Mama.

V
Die Wüste
    1
    DIE SONNE BRENNT. Der Himmel ist ohne Farbe.
    Ich habe soeben die Augen geöffnet. Das hätte ich nicht tun sollen. Die Sonnenstrahlen explodieren in meinem Kopf.
    D as Licht sticht durch meine Pupillen und bohrt sich durch einen Schädel. Als ich eingeschlafen bin, die Stirn an das kühle Fenster gelehnt, war es noch dunkel. Und kühl. Es ist vier Stunden her, dass das Flugzeug gelandet ist. Die Sonne hat die Zeit effektiv genutzt. Die Umgebung kommt mir wie ein Schnellkochtopf vor. Bei voller Hitze.
    Ich wende den Kopf vom Wüstenlicht ab und suche nach der Sonnenbrille, die ich mir am Flughafen Gardermoen für siebenhundertfünfundvierzig Kronen gekauft habe. Ein Sonderangebot. RayBan. Aber siebenhundertfünfundvierzig Kronen? Ein Sonderangebot? Wäre die Verkäuferin nicht so niedlich gewesen, hätte ich die Brille sicher verächtlich grinsend auf dem Tresen liegen lassen. Doch jetzt setze ich sie mir auf die Nase.
    Der Weg führt schnurgerade durch eine karge Hügellandschaft. Der Asphaltstreifen verschwindet im Hitzedunst, der den schimmernden Horizont verwischt.
    Ich sitze in einem klimatisierten Bus. In einer Wüste aus Stein. Oder vielleicht auf einem anderen Planeten. Zum Beispiel dem Jupiter. Die Felsen am Rande des Blickfeldes sind rostrot. Zwischen den Steinen am Pistenrand wächst das eine oder andere widerspenstige Gewächs wie in einem Terrarium. Oder Herbarium. Vielleicht könnte man so etwas auch zwischen den Steinen eines vergessenen, verfallenen Garten s f inden. Weit entfernt, am Rande eines Hügels, steht eine Reihe Zypressen. Wie in einer biblischen Landschaft auf dem bestickten Sofakissen bei einer frömmelnden Tante im Sørland.
    Zum fünftausendsten Mal auf dieser Reise nehme ich Dianes Brief heraus und lese ihn; Wort für Wort, Zeile für Zeile. Ich kenne ihn längst auswendig, versuche aber immer noch, eine Erklärung zu finden.
    Im Bus sind nur der Fahrer und ich. Wortlos gleiten wir durch die endlose Wüste. Das Aussehen des Fahrers bringt mich auf den Gedanken, dass er bereits festmontiert auf dem Fahrersitz saß, als der Bus vom Fließband rollte. Dass er von einem Team guter Bioingenieure und Gentechniker geplant und später mit viel Fleiß und Mühe in einem separaten Flügel der Produktionsanlage konstruiert wurde. Er trägt ein kurzärmeliges Hemd, seine Arme sind behaart. Kräftige Augenbrauen. Manchmal sieht er mich in dem großen Rückspiegel an, jedoch ohne mir zumindest einmal zuzunicken.
    Es fiel mir noch nie leicht, auf Menschen zuzugehen. Über die Jahre habe ich gelernt, diese Schüchternheit mit aufgesetzter Munterkeit und Sarkasmus zu überspielen. Es gäbe sicher Menschen, die die Gelegenheit nutzen würden, um mit dem Fahrer ein angeregtes Gespräch zu beginnen. Über Juden und Araber. Oder Sportwagen und europäischen Fußball. Über das Christentum und den Islam. Über Fliegenfischen im Namsen und die Huren in Barcelona. Ich nicht. Seinem Gesichtsausdruck entnehme ich, dass er darüber froh ist.
    Wir fahren um eine Felsnase; eine fruchtbare Oase entfaltet sich in dem Tal vor uns. Ein Garten Eden mit Olivenbäumen, Sandelholzbäumen, Kampfer und Zedern. Ein Feigenhain kleidet den Hang mit verwaschenem Grün. Aus einem Brunnen, dessen Pumpe von einem lärmenden Dieselaggre gat angetrieben wird, läuft Grundwasser in sorgfältig ausgearbeitete Bewäs serungskanäle.
    In dieser Oase hat man das Schimmer-Institut angesiedelt. Keine Ahnung, warum. Noch weiter ab vom Schuss geht ’ s nicht mehr.
    So hat man auf jeden Fall Ruhe zum Arbeiten.
    Das Institut ist ein lebender Beweis dafür, dass der Mensch immer versuchen wird, das Ursprüngliche mit dem Hypermodernen zu verbinden.

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