Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman

Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman

Titel: Ehebrecher und andere Unschuldslaemmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
Vom Netzwerk:
Ihrem Teint«, hatte die Verkäuferin gesagt. »Es macht Sie Jahre jünger.«
    »Sag mal ganz ehrlich, Louisa: Findest du, dass ich zu alt bin, um Jeans zu tragen?«, fragte Amelie.
    Louisa machte ein beleidigtes Gesicht. »Du hast mir ja gar nicht zugehört«, beschwerte sie sich.
    »Doch, habe ich«, log Amelie. In Wahrheit waren Louisas Worte ungehört an ihr vorbeigeflossen. Das Kind konnte ja nicht wissen, wie schwierig es war, auf einem Drahtseil über einem ungeheuer tiefen schwarzen Abgrund zu balancieren. Schon der Versuch, es zu erklären, würde Amelie aus dem Gleichgewicht bringen, sie würde ins Trudeln geraten und abstürzen …
    Amelie beschloss, in die Offensive zu gehen: »Ichweiß genau, wie dir zumute ist. Ich war erst siebzehn, als mein Vater gestorben ist. Aber vergiss bitte nicht, dass dein Vater der Mann war, mit dem ich die letzten dreißig Jahre beinahe jeden Tag verbracht habe. Du machst es mir wirklich nicht leichter, wenn du mir die Ohren volljammerst.«
    Es klingelte.
    »Vielleicht sollte ich besser Pfarrer Hoffmann die Ohren volljammern«, sagte Louisa boshaft.
    Vielleicht solltest du in dein Zimmer gehen und packen, junge Dame , hätte Amelie am liebsten gesagt, aber sie konnte sich gerade noch zurückhalten. Sie zupfte den Pullover zurecht und sagte: »Ich will damit nur sagen, dass ich mir im Augenblick nicht auch noch um dich Sorgen machen will, verstehst du? Und jetzt sei so lieb und mach dem Pfarrer die Tür auf, Kind, ja? Wir reden dann heute Abend noch mal miteinander.«
    Louisa erhob sich mit finsterem Blick. »Ich muss noch einkaufen. Hast du irgendwelche besonderen Wünsche fürs Abendessen?«
    »Ein paar Äpfel wären fein«, sagte Amelie freundlich.

    »Ich finde, dass wir große Fortschritte machen, liebe Amelie«, sagte Pfarrer Hoffmann. »Wir haben nun gelernt, dass Ihr Mann in der Obhut Christi auf uns wartet. Wir sind im Frieden mit der Vergangenheit, und wir sehen der Zukunft voller Zuversicht entgegen.«
    »Na ja«, sagte Amelie, während sie den Duft seines Eau de Toilette inhalierte. Das kollektive »wir«, das Pfarrer Hoffmann benutzte, irritierte sie. Es mochte ja sein,dass er der Zukunft voller Zuversicht entgegensah – sie tat es nicht. »Ich fühle mich aber immer noch so schrecklich hilflos und unvollständig.«
    In den letzten Wochen hatte sie diese Art Gefühle perfektioniert. Je hilf- und wehrloser sie sich fühlte, desto netter waren die Menschen zu ihr. Besonders Pfarrer Hoffmann. Amelie liebte es, Sorge und Mitgefühl in seinen schönen blauen Augen zu lesen.
    »Daran werden wir noch arbeiten«, versprach Pfarrer Hoffmann. »Aber nun haben wir uns doch eine Belohnung verdient, um diesen Teilerfolg zu feiern, finden Sie nicht?«
    Ohne ihre Antwort abzuwarten, bückte er sich nach seinem Aktenkoffer, den er immer mit sich herumschleppte, und holte eine Flasche Sekt hervor. »Sie ist nicht mehr ganz kalt, aber das macht nichts. Es ist ja symbolisch gedacht.«
    Amelie musste lachen. »Ich habe in den letzten Tagen die Finger vom Alkohol gelassen, weil ich Angst hatte, der Versuchung zu erliegen, mich zu betrinken. Und ausgerechnet Sie als Pfarrer wollen mich dazu verführen …«
    »Das ist wie Medizin«, versicherte Pfarrer Hoffmann, während er, ohne zu fragen, zwei Sektgläser aus der Vitrine nahm. »Außerdem muss jetzt wirklich mal Schluss sein mit dem steifen Sie! Ich habe mir ja schon die Freiheit genommen, Sie beim Vornamen zu nennen, liebe Amelie, aber Sie sind ganz korrekt bei Ihrer Anrede geblieben. Könnten Sie sich nicht vorstellen, Benedikt zu mir zu sagen?« Der Sektkorken glitt mit einem leisen »Plopp« aus dem Flaschenhals. »Wir sind doch jetzt Freunde.«
    »Benedikt«, wiederholte Amelie geschmeichelt. »WennSie meinen, dass sich das einem Pfarrer gegenüber gehört?«
    »Du«, verbesserte Pfarrer Hoffmann, ließ sich neben ihr auf das Sofa nieder und reichte ihr ein Glas. »Auf Konventionen gebe ich nicht viel – je vertrauter und inniger das Verhältnis zwischen Pfarrer und Schutzbefohlenem, je enger ist auch das Verhältnis zu Gott, unserem Herrn. Also, auf uns, Amelie! Auf unsere von Gott geschenkte Freundschaft!«
    Die Gläser stießen klirrend aneinander. Amelie nahm zwei tiefe Schlucke. Der lauwarme Sekt stieg ihr in die Nase. Ihr wurde heiß in dem puderrosafarbenen Wollpullover.
    »Und jetzt der Kuss«, verlangte Pfarrer Hoffmann, nein, Benedikt, nahm ihr das Sektglas wieder aus der Hand und sah ihr ernst in die Augen. »Deine

Weitere Kostenlose Bücher