Eidernebel
›Storm-Café‹ prangt. Eine steile Treppe führt in einen niedrigen Raum mit Kronleuchtern, abgestoßenem Mobiliar im englischen Stil und weinroten Polsterstühlen. Maria Teske bekommt einen Platz an der Fensterfront mit Blick auf den Marktplatz, wo gerade die ersten Buden für den Weihnachtsmarkt rund um den Tine-Brunnen zusammengeschraubt werden. Sie bestellt einen Cappuccino und bekommt bei der Frage nach etwas Süßem die Stormtorte empfohlen. Obwohl sie eigentlich satt ist, kann sie nicht widerstehen.
Während die Bedienung das Gewünschte serviert, sieht sie durchs Fenster den Hauptkommissar kommen.
»Bringen Sie gleich noch einen Cappuccino«, bestellt Maria Teske. Wenig später kommt Jan Swensen die Treppe herauf und winkt der Journalistin zu. Als er sich setzt, stellt die Bedienung den Cappuccino vor ihn auf den Tisch.
»Das nenne ich nordfriesischen Service!«, grinst Swensen und sieht, wie Maria Teske ihm zuzwinkert. »Aber Sie sind natürlich trotzdem eingeladen, Frau Teske!«
»Das letzte Mal waren Sie nicht so gut auf mich zu sprechen. Woher kommt der Wandel?«
»Sie haben über meinen Rat nachgedacht und dieses unmenschliche Interview unterlassen.«
»Mein Chef hat eine ganz andere Meinung dazu!«
»Ein buddhistischer Meister sagte mir mal: ›Wir müssen alles Übel, alle widrigen Umstände, die uns begegnen, korrigieren oder überwinden.‹«
»Wow! Wo haben Sie den Mann denn getroffen?«
»In der Schweiz!«
»Klingt theoretisch aber leichter, als es praktisch umzusetzen ist, denn wenn …«
»Denken Sie einfach darüber nach und handeln Sie nach ihrem gesunden Menschenverstand.«
»Sie sind jetzt aber nicht gekommen, um mir irgendwelche Weisheiten zu erzählen, oder?«
»Nein, ich wollte mit Ihnen über die Frau mit der Herztransplantation reden.«
»Lisa Blau? Oh, das hatte ich jetzt nicht erwartet.«
»Es geht um ihre Dokumentation in der Zeitung. In der letzten Ausgabe habe ich gelesen, dass Lisa Blau Orgelmusik in ihrem Mordtraum gehört haben will. Hat die Frau Ihnen das wirklich persönlich erzählt?«
»Selbstverständlich, ich erfinde so etwas nicht. Aber wieso ist das wichtig für Sie, Herr Swensen?«
»Nun, ich bin in den letzten Tagen die alten Akten von dem Reimersbude-Mord durchgegangen, und darin habe ich ein schriftliches Protokoll des behandelnden Arztes gefunden. Darin heißt es, dass das Mordopfer vor dem Tod noch mal kurz bei Bewusstsein gewesen ist und die Worte ›Bach‹ und ›Toccata‹ gesagt haben soll.«
»Das wird ja immer unheimlicher, von Bachs Toccata d-moll hat mir Lisa Blau auch erzählt. Die hat sie im Traum gehört.«
»Davon stand aber nichts in Ihrem Artikel.«
»Das Detail fand ich beim Schreiben nicht so wichtig.«
»Ich habe langsam das Gefühl, ich sollte mich einmal mit Lisa Blau unterhalten. Könnten Sie das für mich arrangieren?«
»Ich war erst vor Kurzem bei Frau Blau, weil sie glaubt, dass sie von einem Mann verfolgt wird. In dem Zusammenhang fühlt sie sich im Moment von der Polizei nicht gerade ernst genommen. Dass sie bedroht wird, hat ihr dort in Kiel bis heute keiner geglaubt.«
»Dass der Mörder von Reimersbude ihr auflauern sollte, ist auch nicht gerade wahrscheinlich.«
»Und weshalb nicht?«
»Wie sollte der wissen, wo er die Frau findet? Vor ihren Artikeln wusste der gar nichts von ihrer Existenz. Und selbst wenn er jetzt nach ihr suchen will, wo sollte er anfangen? Sie haben den Namen nicht preisgegeben und nicht erwähnt, in welcher Stadt sie lebt.«
»Ich denke trotzdem manchmal, vielleicht hat er das Phantombild von sich gesehen und recherchiert genauso wie ich auch.«
Swensen blickt der Journalistin nachdenklich in die Augen. Die stehen in Flammen, als wollen sie die plötzliche Erkenntnis zu Asche verbrennen.
»Das Leben ist unendlich viel merkwürdiger als alles, was der Geist der Menschen erfinden könnte. Das hat niemand anderer als der große Sherlock Holmes gesagt«, sinniert der Hauptkommissar.
»Den hat es doch gar nicht gegeben.«
»Es ist aber trotzdem wahr!«, sagt Swensen lächelnd. »Deswegen würde ich eben gerne mit Frau Blau reden, auch wenn Sie Bedenken hat. Versuchen Sie bitte ein gutes Wort für mich einzulegen. Behutsam natürlich, aber auch mit ein wenig Nachdruck. Uns läuft die Zeit davon.«
»Ich werde es probieren, Herr Swensen, kann aber nichts versprechen.«
»Danke, das war es von meiner Seite. Was machen Sie jetzt?«
»Ich gehe in die Nordhusumer Straße, dort wohne
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