Eidernebel
Metern auf den Parkplatz des Supermarkts Libo. Er parkt einfach direkt vor dem Eingang, obwohl genügend Parkplätze in der Nähe frei sind. Jacobsen steigt demonstrativ langsam aus, sodass Mielke neben der Fahrertür warten muss, bis er sie endlich verriegeln kann.
»Darf man wissen, was der kleine Abstecher sollte? Du siehst nicht aus, als hättest du eine Grachtenfahrt gebucht«, stichelt Jacobsen.
»Das war ein privater Besuch«, antwortet Mielke knapp.
»Ein privater Besuch? Verstehe! Attraktiv privat, oder?«
»Das geht dich gar nichts an!«
»Deshalb dein plötzliches Interesse an Friedrichstadt.«
»Rudolf, halt einfach die Klappe!« Stephan Mielkes Stimme klingt bestimmt. Mit großen Schritten geht er auf den Eingang des Supermarkts zu, Jacobsen trottet hinterher. An der Kasse steht eine längere Schlange. Die Kassiererin, eine junge Frau mit Pferdeschwanz, zieht ohne Pause Waren über den Scanner. Ihren rechten Oberarm ziert ein auffälliges Tattoo, das Mielke an Stacheldraht erinnert.
»Kripo Husum, wo finde ich den Filialleiter?«, fragt der Oberkommissar, während Jacobsen sich neben ihn stellt.
»Herr Kretschmer ist im Büro«, antwortet die Frau mit erstauntem Gesicht und deutet mit dem Finger hinter sich. »Die Tür dort, da wo ›Privat‹ draufsteht.«
Als Mielke auf die Tür zueilt, wird sie urplötzlich aufgerissen und ein großer Mann mit kurzen, blonden Haaren stürzt heraus und winkt eine stämmige Frau zu sich.
»Haben Sie keine Augen im Kopf, Frau Seifert? Die Mopro muss eingeräumt werden, aber Zackig! Da steht mal wieder kein einziger Frischmilchkarton im Regal!«
»Hallo, geht das bei Ihnen immer so freundlich zu?«, fragt Mielke und hält dem Mann mit Genuss seinen Dienstausweis unter die Nase. »Kripo Husum, wir sind die Oberkommissare Mielke und Jacobsen! Wir ermitteln im Mordfall Dorit Missler und möchten Sie zu Ihrer Mitarbeiterin befragen, allein, bitte!«
»Frau Missler, mein Gott! Das ist eine schreckliche Sache«, sagt der Filialleiter mit theatralischer Mimik, wobei er seine Stimme fast bis zum Flüstern dämpft. »Wir sind alle noch völlig fassungslos. Die Nachricht hat uns wie aus heiterem Himmel getroffen.«
Der Mann hat den letzten Satz gerade beendet, da dreht er sich abrupt um und geht ohne ein Wort mit Riesenschritten auf sein Büro zu. Als er schon an der weiß gestrichenen Eisentür steht, macht er mit einer knappen Kopfbewegung deutlich, dass die Kripobeamten ihm nachkommen sollen. Stephan Mielke steht für kurze Zeit perplex da, schaut zu Jacobsen hinüber, der die Situation aber anscheinend als völlig normal einstuft, und folgt dem Mann in sein Büro. Jacobsen schlendert gelassen hinterher. Der Filialleiter sitzt bereits auf seinem Drehstuhl und schielt auf den Bildschirm des Computers, auf dem angezeigt wird, dass eine E-Mail eingegangen ist. Die beiden Kripobeamten setzen sich auf zwei unbequeme Holzstühle.
»Wann haben Sie Ihre Mitarbeiterin das letzte Mal gesehen, Herr Kretschmer?«, fragt der Oberkommissar.
Der Mann wendet sein sommersprossiges Gesicht vom Bildschirm ab und schaut nachdenklich an die Decke. Dann zuckt der mit den Achseln: »Schon länger her, weiß ich nicht mehr aus dem Kopf.«
»Und?«, drängt Mielke ungeduldig »Könnten Sie dann bitte irgendwo nachsehen?«
Ohne ein Wort klickt der Filialleiter sich mit der Maus durch die Dateien und ruft eine Seite mit einer Tabelle auf.
»Also, Frau Missler hat genau am Samstag den 12. April das letzte Mal hier gearbeitet. Als sie am folgenden Montag nicht zur Arbeit kam, habe ich ihr auf den Anrufbeantworter gesprochen. Dann hat ihr Ehemann hier völlig aufgelöst angerufen und gesagt, dass seine Frau verschwunden ist. Danach habe ich nichts mehr gehört. Und plötzlich stand in der Presse, dass sie ermordet wurde. Ich konnte das im ersten Moment gar nicht glauben.«
»Ist Ihnen in der Zeit davor etwas aufgefallen? War Frau Missler irgendwie auffällig, gab es Anzeichen von Angst, hat sie sich in irgendeiner Weise anders als sonst oder besonders merkwürdig verhalten?«
»Nein, mir ist nichts aufgefallen! Frau Missler ist immer pünktlich und zuverlässig gewesen, hat ihre Arbeit wie immer verrichtet, ganz normal, da gab es nichts Merkwürdiges.«
»Könnte es eine Affäre gegeben haben? Wurde sie vielleicht nach Feierabend von einer fremden Person abgeholt?«
»Dazu kann ich Ihnen gar nichts sagen. Libo interessiert sich nicht für das Privatleben seiner Mitarbeiter. Die machen
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