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Eidernebel

Eidernebel

Titel: Eidernebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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hysterisch nach oben. »Und dort! Überall im Hotel, hier. In der Bar, in jedem Zimmer, im Nachtklub, sie können alles beobachten. Wir müssen sofort weg hier!«
    Der Weißblonde schaut ungläubig zu den Stuckverzierungen an der Decke, die das prunkvolle Hotelzimmer umspannen. Zwischen den Ornamenten blitzen, kaum sichtbar, mehrere Linsen von winzigen Kameras.
    »Bitte, bitte! Glaub mir!«, kreischt die Frau. »Hör zu Henry, ich habe dich belogen, die ganze Zeit belogen. Aber jetzt muss du mir glauben, nur dieses eine Mal. Bitte, bevor es zu spät ist.«
    »Warum …?«
    »Um Gottes willen, frag nicht mehr. Komm, komm, bevor es zu spät ist.«
    Die Frau stürzt wie besessen hinaus auf den Hotelflur, der Mann bleibt dicht hinter ihr. Sie drückt panisch auf den Fahrstuhlknopf und schaut sich immer wieder angsterfüllt um. Doch der Flur bleibt menschenleer.
    »Sag’s jetzt«, drängt der Mann, als sich die Türen teilen.
    »Nicht hier«, wiegelt die Frau ab, »sie können uns hören. Erst müssen wir hier weg.«
    Es geht mehrere Stockwerke abwärts, bis der Fahrstuhl plötzlich stoppt und ein Mann mit untersetzter Statur die Kabine betritt. In der linken Hand hält er eine Pistole und sagt verächtlich: »Du Luder!«
    Die Fahrt geht wortlos weiter, nachdem sich die Türen geschlossen haben. Als sie wieder aufgehen, befiehlt der Untersetzte den beiden mit einem scharfen »Los« auszusteigen. Ein Kellergewölbe liegt vor ihnen, darin steht ein hagerer Mann, der die Gefangenen bereits erwartet. In einem verzweifelten Versuch stürzt sich der weißblonde Recke auf ihn. Doch der andere eröffnet ohne Warnung das Feuer. In der Hektik gerät die Frau in die Schusslinie, wird von einer Kugel getroffen und sinkt langsam zu Boden. Wenig später liegen sie und der Weißblonde in einem bunkerähnlichen Betonverlies. Eine Wand des Raums ist mit unzähligen Monitoren und Schaltanlagen versehen. Die Bildschirme zeigen alle Zimmer, Räume und Flure des Hotels. Nach kurzer Zeit lassen die beiden Ganoven die verletzte Frau und den weißblonden Mann hilflos zurück, verschließen den Raum mit einer mächtigen Stahltür.
    »Ist dir eigentlich klar geworden, dass wir die Einzigen sind, die von dieser Fernsehzentrale hier wissen? Außer ihm natürlich!«, sagt der Untersetzte unheilvoll. »Und wird dir da nicht ein bisschen mulmig?«
    Der Hagere bleibt stumm, nimmt stoisch ein Zigarettenetui aus der Jackentasche, zieht eine Zigarette heraus und zündet sie an.
    »Ich weiß nicht«, redet der andere auf ihn ein, »ich habe so ein merkwürdiges Gefühl. Als dich der Fernsehreporter überrascht hat, wie du die defekte Kamera in seinem Zimmer ausgewechselt hast, war er innerhalb einer Stunde mausetot. Nummer 11, tot. Heute Nacht der Klumpfuß, hat seine Rolle ausgespielt, wird nicht mehr gebraucht, fort. Und nachdem jetzt die Sache mit dem Amerikaner so völlig schiefgegangen ist, weißt du, ob wir beide ihm noch wichtig sind?«
    »Wer hat ihm denn die ganze Anlage hier eingerichtet?«, fragt der Hagere eindringlich und antwortet selbst. »Ich! Wer hat ihm die alten Gestapopläne verschafft und auf Fernsehen umgestellt? Ich! Millionen hat er damit gemacht. Mich kann er nicht fallen lassen.«
     
    Die kleinen blauen Augen des Mannes blitzen auf, während er die Szene genüsslich auf dem Bildschirm verfolgt. Sein Mund verzieht sich freudig zu einem schiefen Lächeln.
    Eine geile Investition, dieser Flachbildfernseher, denkt Rösener. Eine echt andere Dimension des Filmeguckens.
    Von dem letzten Honorar hat er sich vor einer Woche dieses nagelneue Wunderwerk der Technik gegönnt. Selbst der alte Schwarz-Weiß-CCC-Film ›Die 1.000 Augen des Dr. Mabuse‹ hat darauf fast Kinoqualität. Er nimmt einen letzten Schluck Bier, drückt auf der Fernbedienung Stopp und augenblicklich erstarren die beiden Männer auf dem Bildschirm. Dann steht er auf, geht über den Flur zur Toilette.
    Nicht zu fassen, geht es ihm durch den Kopf. Den Streifen hat der Fritz Lang 1959 mitten im Kalten Krieg gedreht. Wenn der damals schon gewusst hätte, wie harmlos sein Überwachungsszenario im Gegensatz zu der Realität war, die wir zur selben Zeit bei uns in der DDR praktiziert haben. Im Grabe würde der sich umdrehen, was sage ich, rotieren würde der.
    Rösener wäscht seine Hände, sieht sein rundes Gesicht im Spiegel und muss unwillkürlich an die hysterische Atmosphäre denken, damals 1989, kurz bevor seine Firma ›Horch und Guck‹ endgültig vor dem Konkurs stand

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