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Eidernebel

Eidernebel

Titel: Eidernebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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nicht im Geringsten kriminell.
    Rösener bemerkt, dass er sich, wie so oft nach der Wende, innerlich in Rage geredet hat. Er geht zurück ins Wohnzimmer, will wissen wie der Film endet und lässt ihn mit einem Druck auf die Fernbedienung weiterlaufen. Er hatte den Schluss allerdings bereits erahnt, Dr. Mabuse ist der wahnsinnige Prof. Jordan, der sich hinter dem ominöse Hellseher Cornelius verbarg. Bei dem Versuch, aus dem Hotel zu flüchten, wird er von dem vermeintlichen Versicherungsvertreter Mistelzweig enttarnt, wunderbar von Röseners Lieblingsschauspieler Werner Peters gespielt, der sich in dieser Szene als geheimer Interpol-Agent outet. Auch Gerd Fröbe spielt den Kommissar Krass hervorragend, findet Rösener. Der Showdown beginnt, der Kommissar verfolgt den flüchtigen Mabuse und seine Komplizen über eine unwahrscheinlich autolose Autobahn, bis der Wagen am Ende auf einer Brücke das Geländer durchbricht und im Fluss versinkt. FIN.
     
    Bleibt die alte Frage: Ist Dr. Mabuse wirklich tot?
    Rösener schaltet den DVD-Player mit der Fernbedienung aus. Das reguläre Programm schaltet sich automatisch ein und das Gesicht von Donald Rumsfeld erscheint bildfüllend auf dem Fernsehschirm. Die Tagesthemen müssen gerade begonnen haben.
    »Die Informationen unserer Geheimdienste über die Massenvernichtungswaffen des Irak waren selbstverständlich von hoher Qualität«, verteidigt der US-Verteidigungsminister den CIA vor dem Kongress. »Alles was US-Außenminister Colin Powell Anfang Februar vor dem UN-Sicherheitsrat ausgeführt hat, ist völlig exakt gewesen.«
    »Und wo sind sie jetzt, die irakischen Massenvernichtungswaffen?«, knurrt Rösener dazwischen.
    »Wir suchen noch!«, hatte Bush vor ein paar Tagen vor seinen Truppen in Katar gesagt und versprochen: »Die Wahrheit wird ans Licht kommen. Sicher ist, dass der Irak terroristischen Gruppen nicht mehr als Waffenarsenal dienen wird. Saddam Hussein hat Jahrzehnte damit verbracht, mörderische Waffen zu verbergen.«
    Und das soll die Wahrheit sein?
    Bei Rösener meldet sich neuer Unmut, auch wenn seine gedanklichen Selbstgespräche nie ein öffentliches Publikum finden.
    Was die Wahrheit ist, kann ich euch sagen, tobt es in ihm. Kaum war der Warschauer Vertrag aufgelöst und die Sowjetunion zerbrochen, hat es nur so von Gehässigkeiten und Verdrehungen über unsere Stasiarbeit gehagelt. Alles nur Verleumdungen. Das war keine Unwissenheit von diesen Schreiberlingen, das war mit Kalkül forciert. Die Fortsetzung des Kalten Krieges im Geiste des Antikommunismus. Wir haben unsere Arbeit damals aus derselben Überzeugung heraus gemacht, wie der Geheimdienst der BRD. Wir haben auf vieles in unserem Leben verzichtet und einen hohen persönlichen Preis für die Erfüllung der notwendigen Aufgaben bezahlt. Aber damit ist es jetzt vorbei. Hier im Westen hol ich mir mit meinem Wissen aus dem Osten das zurück, was die Herren Mielke und Konsorten mir damals vorenthalten haben: Wohlstand!
    Rösener schaltet den Fernseher aus, gähnt genussvoll in die Stille. Er weiß, morgen muss er in aller Herrgottsfrühe auf den Beinen sein. Die Libo-Filiale in St. Peter steht auf seinem Plan. Die Arbeit in Husum hat er vor drei Tagen erfolgreich abgeschlossen und den Bericht schon gestern persönlich an den kleinen Streber von diesem Kreienbaum übergeben.
     
    *
     
    Es ist 9 Uhr. Pünktlich wie jeden Morgen nimmt Lisa Blau ihre Medikamente aus den Packungen und ordnet sie in Reih und Glied auf dem Küchentisch. Die erste Dosis für diesen Tag, mehr als ein Dutzend Tabletten. CellCept vermindert die Anzahl der weißen Blutkörperchen, besonders der T-Lymphozyten, welche für die Abstoßung verantwortlich sind. Über Decortin H bekommt sie das körpereigene Hormon Prednisolon. Adalat senkt den Blutdruck, Aspirin gegen Thrombusbildung, Torem zur Entwässerung, Omep als Magenschonung wegen der vielen Pillen, die sie schlucken muss, und so weiter, und so weiter. Das Sandimmun unterdrückt die Abwehrkräfte und ist entzündungshemmend. Das gibt es zwar auch als Kapseln, aber sie nimmt es lieber als Lösung mit Orangensaft. Wie in Trance öffnet sie den Kühlschrank, nimmt eine Packung Hohes C heraus und schüttet den Inhalt in ein Trinkglas. Mit einem Plastiktauchkolben, der ein bisschen wie eine kleine Spritze aussieht, gibt sie den Wirkstoff Cyclosporin in den Saft.
    Hauptsache, die Chemie stimmt, denkt sie sarkastisch und stellt sich vor, dass jemand, der sie heimlich beobachten würde,

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