Eidernebel
erzählt, was sie sich alles für Sprüche anhören musste.«
»Zum Beispiel?«
»So was können Sie sowieso nicht veröffentlichen.«
»Das lassen Sie meine Sorge sein, Frau Jürs. Ich muss mir doch ein Bild machen können.«
»Wenn Sie meinen. Also …, einmal … einmal hat er zu Dorit gesagt: Du hast mehr Fäuste im Arsch als eine Kasperlepuppe.«
»Stimmt, das ist wirklich ziemlich übel!«
»Das ist nur die Spitze vom Eisberg!«
»Hat ihre Kollegin irgendwelche Andeutungen gemacht, dass sie sich bedroht fühlte?«
»Sie meinen von dem Kretschmer?«
»Hat er sie bedroht?«
»Das weiß ich nicht. Davon hat sie nie etwas gesagt. Aber so was kann ich mir auch nicht vorstellen. Hunde, die bellen, beißen nicht.«
»Hat sie sich vor der Ermordung denn anders verhalten?«
»Ich hab nichts bemerkt«, wehrt die Frau ab. »Ich möchte jetzt auch nichts mehr dazu sagen.«
Ich brauch einen Anfang … einen Anfang, grübelt Maria Teske, ein Königreich für den ersten Satz.
Das Bild der jungen Frau vor Augen, blättert sie ihre Notizen durch. Doch es ist nichts Brauchbares dabei. Und dann, wie aus dem Nichts, ist zumindest die Schlagzeile in ihrem Kopf. Die Finger fliegen über die Tastatur.
›Wende bei den Kirchenmorden auf Eiderstedt.‹
Der Bann ist gebrochen.
›In dem grauen Betonkasten der Libo-Filiale in Friedrichstadt scheint wieder Normalität zu herrschen. Morgens um sechs Uhr treten die Mitarbeiterinnen des Supermarkts wie gewohnt die Frühschicht an. Obst und Gemüse müssen pünktlich um acht Uhr aufgebaut, die Qualitätskontrolle muss erledigt sein und das frische Brot muss eingeräumt werden. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht, aber die Stimmung ist gedrückt. Der Mord an ihrer Kollegin begleitet die Frauen bei jedem ihrer Handgriffe.‹
Das Klingeln des Telefons schreckt die Journalistin aus ihrem gerade gewonnenen Schreibfluss. Sie nimmt den Hörer von der Station und meldet sich: »Husumer Rundschau, Maria Teske!«
»Lisa hier«, sagt eine leise Stimme. »Lisa Blau. Ich muss unbedingt mit dir reden, Maria. Hast du gerade etwas Zeit?«
»Äh …, klar doch«, lügt die Journalistin. »Für dich hab ich immer Zeit. Was gibt es?«
»Mir geht es nicht gut im Moment, gar nicht gut.«
»Was ist los, Lisa? Du kannst mir alles sagen, es bleibt vertraulich.«
»Gut! Aber es hört sich vielleicht noch verrückter an, als alles, was ich dir bis jetzt schon erzählt habe.«
»Ich verspreche dir, ich werde dir alles glauben.«
»Du erinnerst dich doch, du bist mit mir, nach dem Besuch bei den Eltern von Marion, zu diesem kleinen Ort gefahren.«
»Reimersbude?«
»Ja, da wo Marion ermordet wurde. Ich hab wieder von diesem Ort geträumt, schon mehrere Male. Und diesmal ist dort ein Mann aufgetaucht, im Traum. Ich hab ganz deutlich sein Gesicht sehen können, Maria, ganz deutlich!«
Die Stimme bricht abrupt ab. Die Journalistin hört ein zaghaftes Schluchzen im Hörer.
»Lisa, was ist? Weinst du?«
»Es ist so schrecklich.« Lisa Blaus Stimme zittert. »Ich glaube … ich glaube es ist … der Mörder. Es ist der Mörder von Marion. Ich hab sein Gesicht gesehen, ganz bestimmt.«
»Bist du dir da sicher?«
»Ja, Maria, ich bin mir völlig sicher. Ich hab von Marions Mörder geträumt.«
September 2003
Es ist erst Viertel nach neun, als Swensen den hellblauen Clio von Anna auf der schmalen Teerstraße durch die Salzwiesen steuert. Wenig später stellt er den Wagen auf dem Strandparkplatz in der Nähe der ›Seekiste‹ ab, einem der typischen Pfahlbauten-Restaurants hier vor der Küste. Beim Aussteigen werden Anna und er von drückender Luft empfangen. Ein milchig gelber Dunst liegt in der Luft. Sie ziehen die Schuhe aus, verstauen sie hinter den Sitzen, krempeln die Hosenbeine hoch bis unters Knie und marschieren ins Watt. Die Füße sacken leicht in den silbergrauen Schlick, der zwischen den Zehen hervorquillt. Sie sind nicht allein im Vorland unterwegs, mehrere Familien mit Kindern und andere Paare treibt es zum Gezeitensaum. Es ist Ebbe, das Meer hat sich ungewohnt weit zurückgezogen.
»Ich will ja nicht unken«, sagt der Hauptkommissar, nachdem sie eine Strecke gegangen sind, »aber gestern Abend hatte ich einen kurzen Moment den Eindruck, du wärst nicht sonderlich begeistert, dass ich mir ein Wochenende freigeschaufelt hab?«
»Wie kommst du denn darauf?«, fragt Anna Diete.
»Du bist heute Morgen schon um acht Uhr aufgestanden!«
Anna zuckt mit den
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