Eifel-Gold
Mund, ein widerliches Mordgerät. Jemand hat ihm den Mund damit gestopft.
Der Spaten für das Loch in der Erde, der Gartenschlauch, der Pflanzstock ... Hat er darüber nachgedacht, wann er die ersten Äpfel ernten kann? Vermutlich hat er das alles genau gewußt, vermutlich hat er nur junge Bäume gekauft, die nach zwei Jahren die erste Ernte garantieren. Er ist ein Pedant, er macht niemals Sachen, ohne vorher lange darüber nachzudenken, was dabei herauskommen kann.
Vermutlich hat er alles über die Geldtransporte verraten. Aber an wen? Und wie gerät er an Leute, die dieses Wissen in einen Geldraub umsetzen? Nehmen wir an, er wußte ungefähr, wieviel Geld im Transporter sein wird. Bekommt er zehn Prozent? Zwanzig Prozent? Zehn Prozent sind fast zwei Millionen, genug, um ein Leben ohne Arbeit zu führen. Aber ist er der Typ, der das kann? Der auf so etwas eingeht? Vielleicht hat er den Geldtransporter nicht gezielt verraten, vielleicht bekommt er null Prozent? Vielleicht wurde er mit irgend etwas erpreßt?
Kann jemand, mit dessen Hilfe gerade achtzehn Millionen geraubt wurden, am Sonntag mittag auf einer Obstwiese herum werkeln? Warum nicht?
Draußen auf dem Flur war ein leises Geräusch. Jemand klopfte behutsam, dann ging die Tür auf, und Rodenstock kam herein. Er trug ein Frühstücksbrett. Darauf standen ein halbgefülltes Cognacglas, ein Aschenbecher mit einer brennenden Zigarre, eine Untertasse mit Schokolade und natürlich ein Becher Kaffee. Er flüsterte: »Ich vermute, Sie können auch nicht schlafen.« Er hockte sich in den Sessel, ich schaltete die Lampe ein, und wir starrten uns an.
»Schuhmacher konnte von einer Beteiligung an dem Geldraub träumen«, sagte er matt. »Aber durchziehen konnte er ihn nicht. Es ist ein bißchen so wie der Traum von Robinson oder Tarzan: Man gefällt sich in der Rolle, aber man versucht gar nicht erst, sie auszufüllen. Und dann ist da noch etwas ...«
»Der Pflanzstock«, sagte ich.
Er nickte. »Genau das. Ich wußte, es würde Ihnen auffallen. Sicher, vom Wald her konnte jeder Spaziergänger an Schuhmacher heran. Die Frau sah, wie ein Mann neben ihrem Mann stand. Auch gut. Aber dieser Pflanzstock ... Der unbekannte Mörder kam also aus dem Wald und ging zu Schuhmacher, der gerade einen Obstbaum setzt. So weit, so gut...«
»... da sind auch noch die Handschuhe«, unterbrach ich ihn. »Velourleder, erinnern Sie sich?«
»Velourlederhandschuhe hinterlassen für Kriminalisten sichtbare Spuren. Komisch ist das schon. Aber dieser Pflanzstock ...«
»Schuhmacher wird im allgemeinen als sehr arrogant geschildert, als jemand, der für Verlierer nichts als Verachtung übrig hat. Natürlich ist er ein zwanghafter Pedant, jemand, der nichts tut, ohne einen Plan im Kopf zu haben. Spontaneität kommt in seinem Leben nicht vor, und seine Kreativität besteht ausschließlich darin, Bares zu zählen. Sollten wir nicht, ich meine, es ist gleich zwei Uhr, aber trotzdem ...«
»Wo wohnt Marker?« fragte er.
»Ich denke, im Fasan«, sagte ich. »Ziehen Sie sich einen Pullover über, es ist kühl.«
Zehn Minuten später fuhren wir los, und wir sprachen nicht mehr miteinander, jeder starrte mehr oder weniger trübsinnig vor sich hin. Nur einmal knurrte er: »Verdammte Tat!«
Das Hotel Fasan war selbstverständlich geschlossen, und wir mußten eine Weile schellen, ehe ein hagerer Mann in einem Bademantel auftauchte und fragte: »Unfall?«
»Nichts dergleichen«, verneinte Rodenstock. »Welches Zimmer hat Herr Marker?«
»Eins sieben«, antwortete der Mann. »Aber er war hundemüde.«
»Wir auch«, sagte ich.
Marker war sofort wach, öffnete und hockte sich auf das Bett, während wir uns im Zimmer verteilten.
»Es ist so«, erklärte Rodenstock. »Da ist uns etwas aufgefallen im Fall des ermordeten Schuhmachers. Der pflanzte Obstbäume. Getötet wurde er mit diesem spitzen Ding, diesem Pflanzstock. Wenn man nun bedenkt, daß ...«
Marker schlug sich mit beiden Händen klatschend auf die Oberschenkel. »Mein Opa war bei der Bundesbahn«, führte er etwas schrill aus. »Der hatte einen Kleingarten in Mainz. Ich wußte doch, daß da irgendwas nicht stimmte.«
»Sie wird schlafen«, meinte Rodenstock behaglich. Er fühlte sich offensichtlich wohl.
»Dann wecken wir sie«, sagte Marker. Er griff nach dem Telefon, wählte eine Nummer, nannte seinen Namen. »Ich hätte gern den Bereitschaftsarzt.« Dann, nach einer halben Minute: »Doktor Wegner? Ich komme jetzt in die Klinik.
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