Eifel-Kreuz
verdeckt.
Hätte sie sich nicht bewegt, hätte ich die Frau nicht bemerkt.
Sie lag unter dem Fenster in einem groÃen Haufen von Decken und Kissen und
auÃer ihrem Kopf war nichts zu sehen. Das Gesicht war kindlich, mit groÃen,
weit aufgerissenen Augen. Sie hatte den Kopf leicht angehoben und wimmerte
leise vor sich hin.
»Hallo«, sagte ich zaghaft.
Die dunklen Augen machten nicht den Anschein, als würden
sie mich wahrnehmen. Die Frau schien in einem Traum gefangen, einem sehr
hässlichen Traum. Das Haar wirkte strähnig und verfilzt. Sie blieb stumm, bis
auf dieses Wimmern. Es war, als könne sie das nicht abstellen, als habe das mit
ihrem Bewusstsein nichts zu tun.
Sie hob die Decke vor ihr Gesicht und drehte sich von mir
weg. Die Stille war bedrückend.
Ich wollte schon wieder hinausgehen, aber dann roch ich
es. Es roch faulig, nach Blut, nach Erbrochenem und nach Urin. Ich hatte in den
Ländern, die wir leichtsinnigerweise Drittländer nennen, Krankenhäuser erlebt,
in denen es genauso roch.
Ich trat vor die Tür und fragte schroff: »Wie kommt sie
hierher?«
Dickies Gesicht war tränenüberströmt, sie hielt sich an
Maria Pawlek fest. »Alex und ich haben sie nachts auf der StraÃe aufgelesen.
Sie taumelte da rum.«
»Sie was?«
»Sie taumelte, als sei sie betrunken, aber sie war nicht
betrunken.«
»Wann war das?«
»Etwa vor einer Woche. Wir haben sie hierher gebracht.
Sie kann kein Wort sprechen, sie wimmert nur, aber sie hat ihren Namen mit
einem Ast in den Staub geschrieben. Wanda. Wir haben ihr was zu essen gebracht
und die Decken und die Kissen. Und seitdem lösen wir uns ab und kommen jeden
Tag her. Ich wollte sie waschen, aber sie will nicht. Ich habe gesehen, dass
sie zwischen den Beinen voll ist mit getrocknetem Blut.«
»Schau sie dir an«, sagte ich zu Maria Pawlek. »Wir müssen
Hilfe holen. Dickie, warum habt ihr das nicht gemeldet, die Polizei oder einen
Arzt gerufen?«
»Sie leidet so. Und sie sieht so aus, als würde sie vor jemandem
fliehen.«
Maria Pawlek verschwand in der Hütte.
»Was sollten wir denn tun?«, fragte Dickie weinerlich.
»Ist ja gut, reg dich nicht auf, wir helfen ja jetzt.«
»Was glaubst du, was sie hat?«
»Sie ist in einem Schockzustand. Hat sie Papiere bei
sich?«
»Nein. Sie hatte eine Zweieuromünze und drei lose Zigaretten,
aber kein Feuer. Das war alles. Erst hat sie nur geschlafen, den ganzen Tag.«
Ich wählte die Notrufnummer und versuchte, die Sachlage
zu erklären. »Die Frau muss so um die zwanzig sein. Sie steht unter Schock,
gehen kann sie wohl nicht.«
Maria Pawlek stand inzwischen wieder in der Abendsonne
und steckte sich eine Zigarette an. »Das ist ja furchtbar«, murmelte sie. »Das
arme Kind!«
»Gib mir mal deine Wagenschlüssel. Ich muss dem Krankenwagen
entgegenfahren. Sonst finden die das nicht.« Ich lief los, setzte mich in das
kleine Auto und rollte über das schmale Asphaltband des Wirtschaftsweges auf
die StraÃe zu.
Ich hörte den Wagen, bevor ich ihn sah, und da ich mich
gerade auf einer Kuppe befand, hielt ich an, schaltete die Scheinwerfer ein und
dankte dem Schicksal, dass es das Rote Kreuz sogar in der Eifel gab. Dann fuhr
ich vor ihnen her.
Auch die Sanitäter mussten ihren Wagen hundert Meter vor
der Hütte zurücklassen. Mit der gröÃten Selbstverständlichkeit trabten sie mit
der Trage durch das Gebüsch, stellten sie ab und verschwanden in der Hütte.
Das Erste, was wir hörten, war ein markerschütternder
Schrei. Dickie wollte ihrem Schützling sofort zu Hilfe eilen.
»Bleib hier!«, fuhr ich sie an. »Wanda kapiert doch im
Moment gar nicht, dass ihr geholfen wird. Habt ihr herausgefunden, woher sie
kommt? Und wenn sie redet oder brabbelt, in welcher Sprache?«
»Das weià ich doch nicht, verdammt noch mal! Sie wimmert
nur. AuÃerdem bin ich Aldi und nicht
Gymnasium.« Dickie war in heller Wut.
»Beruhige dich«, bat Maria Pawlek.
Die Rot-Kreuz-Leute erschienen in der Tür. Zwischen sich
hielten sie die Frau aufrecht. Ihr Kopf hing nach vorn, das Wimmern war nur
noch ein endloser Ton, wahrscheinlich starb sie in jeder Sekunde einmal.
»Ich halte sie, du machst die Trage fertig.« Der Mann
griff der Frau von hinten unter beide Arme und sein Kumpel klappte mit
routinierten Bewegungen die Trage auf.
Als sie die Frau
Weitere Kostenlose Bücher