Eifel-Schnee
Sekunden angehalten hatte. Leute, die boxen, haben mir versichert, daß eine Dreiminuten-Runde unendlich lang sein kann. Jetzt kann ich das verstehen.
Offensichtlich hatte der erste Schläger keinen Plan, er hatte nicht einkalkuliert, daß einer seiner Kumpane ausfallen könnte und ein zweiter sich um den Ausgefallenen kümmern mußte. Er hatte wohl auch nicht damit gerechnet, daß ich mich zur Wehr setzen würde.
Dinah war gefährdet, sobald ich mich bewegte. Also begann ich erneut zu reden. »Hast du gewußt, daß Betty schwanger war? Sie war im dritten oder vierten Monat. Hast du das gewußt? Wann hast du zum letzten Mal mit Kremers gesprochen? Hat er dir etwas versprochen? Na ja, du magst nicht antworten, nicht wahr? Das macht nichts, ich weiß sowieso schon das meiste, denn ...«
»Du weißt gar nichts«, höhnte er. »Du scheißt dir vor Angst um die Frau in die Hose.«
»Laß meine Frau los«, forderte ich »Die fährt mit uns«, sagte er. »Dann kannst du uns keine Bullen auf den Hals hetzen.«
Dinah begann laut zu jammern. »Ich kann nicht mehr stehen«, weinte sie.
Er riß sie hoch und nahm sie fester.
In diesem Augenblick tauchte Nummer zwei wieder in der Haustür auf. »Der ist weggetreten«, berichtete er. »Der reagiert nicht mehr.« Er war aufgeregt und konnte nicht vermeiden, daß es zu hören war.
»Schlepp ihn ins Auto«, sagte die Nummer eins. »Wenn du damit fertig bist, kommst du wieder her. Dann kannst du noch ein paar Möbel bearbeiten.«
»Der braucht einen Arzt, keine Autotour«, wiederholte ich.
»Halt die Schnauze«, schrie Nummer eins.
Dann war es ein paar Sekunden vollkommen still. In diese Stille fielen wie Tropfen leise schniefende Laute. Der Kopf des ersten schnellte herum, und er blickte die Treppe hoch. Oben stand Schappi und weinte leise.
»Wer ist das?« fragte Nummer eins.
»Der Bruder von Ole«, erklärte ich. »Ihn kannst du besiegen, er ist zehn. Bleib oben, Schappi, bleib einfach dort oben.« Ich konnte Schappis Auftauchen als Unglück bezeichnen, aber es konnte auch Glück sein, denn der Typ war verwirrt, hatte von Schappi nichts gewußt und mußte jetzt mit den Augen immer hin- und hermarschieren. Das war sehr schwierig.
»Der ist verdammt schwer«, rief Nummer zwei von draußen.
»Mach schon!« schrie Nummer eins wütend.
In diesem Augenblick tönte das tuckernde Geräusch eines schweren Diesel durch die Nacht, und Schappi flüsterte tonlos und erleichtert: »Das ist Papa!«
»Scheiße!« sagte Nummer eins heftig.
»Da kommt wer«, meldete der zweite aufgeregt in der Haustür. »Smiley ist im Auto, wir können.«
Das waren die Sekunden der Wahrheit, es kam darauf an, was Nummer eins jetzt entschied. Er ließ Dinah los, und sie sackte mit einem lauten Aufatmen an ihm hinunter. »Gut, Baumeister, halt dich raus, sonst komme ich wieder. Halt dich raus, Mann, sonst bist du tot.«
Ich antwortete nicht, ich riskierte nichts mehr.
Plötzlich stand Bauer Mehren in der Tür und hatte die Szene im Blick. Offensichtlich brauchte er keine Erklärung. Er baute sich breit auf, als die Nummer eins frech wie Oskar guten Morgen wünschte und an ihm vorbei wollte.
»Halt mal«, sagte Mehren. Mit der linken Hand stoppte er den ersten und hob ihn leicht hoch, so daß er keinen Widerstand leisten konnte. »Baumeister, was ist? Brauchen wir den?«
»Ja, das wäre sehr gut«, murmelte ich. »Er ist ein Arsch, aber wir können ihn brauchen.«
Die Nummer eins begann etwas unorganisiert auf Mehren einzuschlagen, aber der war nicht zu erschüttern und offensichtlich auch nicht willens, sich lange mit dem Mann zu beschäftigen. Er schlug ihm mit der Faust seitlich gegen den Kopf und ließ ihn einfach fallen. Dann sah er mich an und fragte höflich: »Die beiden anderen draußen auch?«
»Könnte nicht schaden«, nickte ich.
Er kehrte zurück auf den Hof. Man hörte zwei- oder dreimal, wie eine Autotür klappte, dann schepperte etwas sehr scharf, und Mehren sagte laut und befriedigt: »So!«
»Dinah, Mädchen«, sagte ich. »Komm, es ist alles vorbei.«
»Es war so schrecklich«, stöhnte sie. Plötzlich rappelte sie sich blitzschnell hoch und rannte wie besessen die Treppe hinauf. Ich hörte, wie sie sich übergab.
»Kann mir jetzt mal einer diesen Haushalt hier erklären?« fragte Mehren.
»Ich bin hier, Papa«, meldete sich Schappi. »Hier war vielleicht was los.«
»Da ist was dran«, sagte ich.
Über die nächste Stunde kann ich nur äußerst gebrochen berichten.
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