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Eigentlich bin ich eine Traumfrau

Eigentlich bin ich eine Traumfrau

Titel: Eigentlich bin ich eine Traumfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Seidel
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wissen.
    Â»Sag doch bitte Rafael, dann kann ich Juli sagen. Das ist doch viel natürlicher, wenn man über etwas so Intimes
reden möchte, oder? Juli, schöner Name. So sommerlich.«
    Er beugt sich zu mir vor. Sein Lächeln ist betörend. Ich erschaudere kurz und räuspere mich.
    Â»O.K., also, Rafael, woher nimmst du deine Inspiration?« Ich versuche seinen Vornamen lässig über die Lippen zu bringen, so als hätte ich es nicht schon tausendmal in Gedanken getan.
    Â»Â â€¦ Habe mich intensiv mit der griechischen Mythologie befasst …«
    Er wirkt ein wenig unausgeschlafen.
    Â»Â â€¦ Dann die eigentliche Tragödie, dass alle großen Geschichten schon geschrieben sind, daher sehe ich die Aufgabe des Dichters …«
    Er hat bestimmt die ganze Nacht gegrübelt und geschrieben, was seine bewegte Seele ihm vorgab.
    Â»Hat ›Orpheus’ Rache‹ autobiographische Züge?«
    Ich stelle ihm mechanisch die Fragen, die ich mir notiert habe. Er zündet sich eine Zigarette an. Natürlich raucht er – und zwar die roten Gauloises , Liberté toujours, was sonst.
    Erst durch eine zarte Wolke sieht ein schwarzer Rollkragenpullover so richtig gut aus. Ich will auch eine. Und ich möchte meine Zigarette auch so elegant zwischen zwei abgespreizten Fingerspitzen halten können. Ganz langsam und nachdenklich lässt er den Rauch durch seine Lippen in die Luft entweichen. Dabei hebt er jedes Mal leicht den Kopf. Das ist so sexy. Vielleicht sollte ich ihn um eine bitten. In Zeiten, in denen Raucher ausgegrenzt werden, verbindet es besonders, gemeinsam diesem Laster zu frönen. Aber ich weiß, dass ich sofort rückfällig werden würde.
Bleib vernünftig, Juli. Lieber noch eine Rechenaufgabe lösen.
    Â»Â â€¦ Daher hoffe ich nicht, dass ich ähnlich narzisstische Züge trage wie die Hauptfigur …«
    Die Sache mit den Rechenaufgaben braucht so viel Konzentration, dass ich nicht genau überprüfen kann, ob er mich gebannt ansieht.
    Â»Â â€¦ Und deshalb will ich glauben, dass die Poesie, die Kunst im Allgemeinen, doch die Gesellschaft verändern kann. Hörst du mir überhaupt zu?«
    Erschrocken muss ich feststellen, dass ich mit meinen Fragen am Ende bin und noch keinen Satz geschrieben habe. Ach nein, eine Frage steht noch auf dem Zettel, mehrfach unterstrichen, damit ich sie nicht vergesse. »Was denken Sie, äh, du, über die Finanzkrise?«
    Verblüfft sieht er mich an. Dann lächelt er wieder verführerisch, beugt sich vor und sieht mir tief in die Augen. »Ich denke, es wird Zeit, dass die da oben aufhören, mit dem Geld von denen da unten so leichtfertig umzugehen. Es muss langfristig eine Umverteilung der Güter geben, die da oben sollten mal versuchen einen Monat von dem Geld eines Arbeitslosen zu leben.«
    â€žKomisch, irgendwie kommt mir das so bekannt vor. Aber woher nur? Egal, er hat die Antwort echt gut gebracht. Sie zeigt, dass sein Herz links schlägt, also am rechten Fleck sitzt. Ein wunderbarer Mann, der bei allem Erfolg noch nicht das Gefühl für die kleinen Leute verloren hat. Ich seufze. Ich glaube, mit meiner letzten Frage ist es mir wirklich gelungen, ihn zu überraschen. Dann kann ich jetzt wohl aufbrechen. Er wird mich bei der Lesung sicher wiedererkennen.
Vielleicht lädt er mich ja sogar direkt danach auf einen Drink ein.
    Â»Du hast mich gar nicht nach meinem Lebensmotto gefragt oder ob ich Single bin. Das wollen die Frauen sonst immer wissen.«
    Dass er Single ist, habe ich ja schon übers Internet erfahren, aber: »Wie lautet dein Lebensmotto?«
    Â»Irgendwo auf der Welt ist es immer nach fünf, und deswegen würde ich dich gerne auf einen Drink einladen.«
    Der Vorschlag wirft mich etwas aus der Bahn. Was so ein bisschen Kopfrechnen bewirken kann. Aber warum eigentlich nicht? Warum soll ich bis zur Lesung warten, wo es doch jetzt schon so glatt läuft?
    Â»Eigentlich darf ich während der Arbeit nicht trinken«, wende ich scheinheilig ein.
    Â»Dann schließen wir die Arbeit hiermit ab und gehen in eine nette Bar. Ich bestelle uns ein Taxi.«

    I n der Bar bekomme ich gar nicht so genau mit, worüber wir eigentlich reden. Ich bin so konzentriert damit beschäftigt, so auszusehen, als ob ich an seinen Lippen hängen würde, dass ich nicht auch noch zuhören kann. Ich versuche einfach nur, an den

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