Eighteen Moons - Eine grenzenlose Liebe (German Edition)
ignorierte. Jetzt wo das Semester an der Universität wieder begonnen hatte und er in dem seriösen Hemd am Tisch saß, das er immer bei seinen Vorlesungen trug, sah er fast normal aus. Man konnte das Jahr beinahe vergessen, in dem er tagsüber nur geschlafen und sich nachts in sein Arbeitszimmer eingeschlossen und ein Buch »geschrieben« hatte, indem er Hunderte von Seiten vollkritzelte. Während dieser Zeit hatte er kaum etwas gegessen und so gut wie nie gesprochen, aber dann hatte er den steilen und mühsamen Weg in die Normalität zurückgefunden. Vielleicht war es auch nur der Geruch der Pastete, der auch auf mich seine Wirkung tat. Ich stach jedenfalls noch mal kräftig in die Kruste.
»Hattest du einen guten ersten Schultag, Ethan?«, fragte Dad mit vollem Mund.
Ich betrachtete das aufgespießte Pastetenstück auf meiner Gabel. »Geht so.«
Unter der Kruste war alles fein gehackt, man konnte die Hühnchenwürfel nicht von den Gemüsewürfeln unterscheiden. Mist. Wenn Amma ihr Hackmesser hervorholte, dann hieß das nie etwas Gutes. Die Pastete war der beste Beweis dafür, wie düster Ammas Stimmung an diesem Nachmittag gewesen war, und den Grund dafür wollte ich mir lieber gar nicht ausmalen. Ihr verschrammtes Schneidebrett konnte einem richtig leidtun. Ein Blick auf Ammas leeren Teller sagte mir, dass sie nicht die Absicht hatte, sich zu uns zu setzen und Smalltalk zu machen. Oder zu erklären, warum sie diese Absicht nicht hatte.
Ich schluckte. »Wie geht’s dir, Amma?«
Sie stand an der Anrichte und mischte so energisch den Salat, dass ich Angst um unsere Glasschüssel bekam. »Geht so.«
Dad hob sachte sein Glas Milch in die Höhe. »Tja, ich hatte einen sensationellen Tag. Ich bin mit einer unglaublichen Idee aufgewacht, die mir einfach so gekommen ist, im Traum. Im Büro habe ich dann sofort ein Konzept entworfen. Ich werde wieder ein Buch schreiben.«
»Wirklich? Das ist toll.« Ich nahm die Salatschüssel und starrte interessiert auf eine ölige Tomatenscheibe.
»Über den Bürgerkrieg. Vielleicht kann ich sogar einige Forschungsergebnisse deiner Mutter verwenden. Ich werde mal mit Marian darüber sprechen.«
»Und wie soll das Buch heißen?«
»Das ist es ja, was mir aus heiterem Himmel eingefallen ist. Ich bin aufgewacht und hatte den Titel im Kopf. Der Achtzehnte Mond . Was hältst du davon?«
Die Schüssel glitt mir aus der Hand, streifte den Tisch und zerschellte am Fußboden; zerrupfte Salatblätter und glitzernde Scherben landeten auf meinen Chucks und auch überall sonst.
»Ethan Wate!« Ehe ich ein Wort sagen konnte, war Amma schon da und kehrte den durchweichten, glitschigen, gefährlichen Salatscherbenhaufen zusammen. So wie immer. Als ich mich auf allen vieren neben sie kauerte, hörte ich, wie sie mir leise etwas zuzischelte.
»Kein Wort mehr.«
Sie hätte mir genauso gut eine alte Pastetenkruste quer über den Mund kleben können.
Was, glaubst du, hat das zu bedeuten, L?
Ich lag wie betäubt auf dem Bett, den Kopf ins Kissen vergraben. Amma hatte sich nach dem Essen in ihr Zimmer eingeschlossen, für mich der Beweis dafür, dass nicht einmal sie wusste, was mit meinem Vater los war.
Ich weiß es nicht .
Wie üblich hörte ich Lena in meinem Kopf so klar und deutlich, als säße sie neben meinem Bett. Und wie üblich wünschte ich mir, sie säße wirklich da.
Wie ist er nur auf die Idee gekommen? Haben wir in seiner Gegenwart etwas über die Lieder gesagt? Haben wir es irgendwie vergeigt?
Und damit meinte ich mehr als nur die Sache mit dem Lied. Aber das konnte ich nicht sagen, wollte ich nicht denken. Die Antwort kam schnell.
Nein, Ethan, wir haben nie etwas gesagt .
Wenn er also vom Achtzehnten Mond spricht …
Die Wahrheit ging uns beiden gleichzeitig auf.
Dann will jemand, dass er sich mit dieser Sache beschäftigt .
Es war einleuchtend. Die Caster hatten meine Mutter getötet. Mein Vater, der gerade eben wieder auf die Füße kam, war eine leichte Beute. Und sie hatten es ja schon einmal auf ihn abgesehen gehabt, in der Nacht von Lenas Sechzehntem Mond. Es gab keine andere Erklärung dafür.
Meine Mutter war tot, aber sie hatte eine Möglichkeit gefunden, mir zur Seite zu stehen. Sie hatte mir mit Sixteen Moons und Seventeen Moons zwei Shadowing Songs gesandt – Songs, die auf künftige Ereignisse hinwiesen; Ereignisse, die bereits ihre Schatten vorauswarfen. Songs, die sich in meinem Kopf festgesetzt hatten, bis ich bereit gewesen war, ihnen zuzuhören.
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