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Ein Alptraum für Dollar

Ein Alptraum für Dollar

Titel: Ein Alptraum für Dollar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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der von den zuständigen Behörden, zusammen mit einem Schneckenjagdschein, zugeteilt wird. Der Antragsteller zahlt für diese vorgeschriebene Ausrüstung 30 Franken. Viertens: Alle Personen mit festem Wohnsitz außerhalb des Kantons Vaux zahlen bei den Behörden 60 Franken für die Jagdausrüstung.
    Fünftens: Diese Lehrringe sind für 3 Franken in Läden erhältlich.
    Sechstem: Schnecken sind vom Aussterben bedroht und müssen daher vom Staat geschützt werden. Im Kanton Valais ist die Schneckenjagd für drei Jahre untersagt. Wilderer haben hohe Strafen zu gewärtigen.
    Siebtem: In den anderen Kantonen der Schweizerischen Eidgenossenschaft wurden ähnliche Bestimmungen in Kraft gesetzt. Sie sind von Kanton zu Kanton verschieden.
    Zusammenfassung: Nach unseren Ermittlungen ist der »B.N.C. Zürich« überzeugt, daß der untersuchte Ring im Falle »Vivien-Vervier« als Hauptbeweisstück betrachtet werden muß für die Aufklärung des Mordes.
    Das muß man schon sagen: INTERPOL ist gründlich! Jetzt ist alles klar: Jules Vivien — französischer Bürger der auf französischem Boden Schnecken jagte, hatte keine Veranlassung, einen Lehrring bei sich zu haben, da Schnecken in Frankreich noch nicht unter Naturschutz stehen. Jean-Louis Vervier jedoch — schweizer Bürger — und ebenfalls auf Schneckenjagd unterwegs, mußte laut Kantonal-Gesetz diesen Ring benützen. Also hat er gelogen. Er — und nicht etwa der Franzose — hat den Fluß überquert und somit die Staatsgrenze verletzt.
    »Darf ich Ihren Lehrring sehen?« fragt der Züricher INTERPOL-Kriminalist.
    »Hm... ja... gleich... ich hole ihn...«
    Aber der Ring ist verschwunden.
    »Geben Sie es endlich zu! Sie sind nach Frankreich über den Fluß gegangen — zum anderen Ufer! Und Sie haben dort den Ring verloren!«
    »Niemals im Leben! Es sind doch die Franzosen, die hierher kommen und uns die Schnecken wegstehlen! Und... und außerdem, auch wenn wir drüber gehen würden... ja... dann wäre es nur recht! Es sind unsere Schnecken, Schweizer Schnecken, die die Franzosen in Frankreich fangen!«
    »Wie bitte?«
    »Aber ja doch! Wissen Sie das nicht? Die Franzosen locken unsere Schnecken an... mit einer ganz fiesen Methode!«
    »Interessant. Und wie sieht diese Methode aus, wenn ich fragen darf?«
    »Salat!!! Jawohl! Überall an der Grenze legen sie kleine Salathäufchen hin!«
    INTERPOL kann eine so gravierende Anschuldigung nicht auf die leichte Schulter nehmen und geht sofort der Sache nach. Und in der Tat — es stimmt! die francohelvetische Staatsgrenze ist an besagter Stelle mit verwelkten, angefaulten Salatblättern gesäumt — alle von den hungrigen Gastropoden benagt, die auf französischem Boden — nur einen Meter von der Schweiz entfernt — wie Pilze nach einem warmen Spätsommerregen gedeihen. Eine wahre Bevölkerungsexplosion!
    Handelt es sich etwa bei dieser vollgefressenen Bauchfüßer-Kolonie um ein nachahmenswertes Beispiel von Völkerverständigung? Von Abschaffung der Grenzen und gerechter Verteilung der Nahrungsmittel unter den Völkern?
    Wenn dies tatsächlich der Fall sein sollte, darf man die schweizer Schnecken daran hindern, ihr Land zu verlassen, um bessere Lebensbedingungen im Ausland zu suchen? Und überhaupt... haben Tiere — ob kriechende, hüpfende, rennende, fliegende oder schwimmende — eine feste Staatsangehörigkeit? Wenn ja, wie soll man sie kennzeichnen? Und wenn nein, dann genießen sie doch das unbeschränkte Recht, die Grenzen zu überschreiten, wann und wo immer sie wollen! Freie Niederlassung für Bauchfüßer!
    Sind Sie jetzt der Meinung, es ginge hier wirklich um belanglose Probleme, so irren Sie sich. Die Gastronomie-Branche und die Nahrungsmittel-Industrie verstehen da gar keinen Spaß. Auch Tiere haben sich heimatbewußt zu verhalten und zum nationalen Wohlstand ihres Staates beizutragen. Es geht schlicht um Geld, um sehr viel Geld sogar, um Devisen im internationalen Handelsverkehr.
    Am 24. Januar 1973 tagte das Hohe Gericht in Neuchâtel im Mordfall Vivien-Vervier. Das war eine einfache Sache: fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe für den Schweizer.
    Als ihn der Richter nach der Urteilsverkündung fragte, ob er noch etwas vorzutragen hätte, sagte er nur:
    »Ich bereue es jetzt, daß ich den Franzosen erschossen habe... ein paar Schnecken... die waren es nicht wert...«
    Die waren es nicht wert, aber das Gericht mußte trotzdem auch ein Urteil fällen wegen der massiven Landflucht der eidgenössischen Gastropoden:

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